Herbstsession 2023 des Nationalrates

Von Martina Munz, Nationalrätin. www.martinamunz.ch

Die letzte Session der Legislatur war hektisch. Viele Geschäfte sollten noch mit der alten Zusammensetzung des Parlaments unter Dach und Fach: der Mantelerlass, das Raumplanungsgesetz und wichtige gesundheitspolitische Vorlagen. Heisse Diskussionen entflammten in der Sonderdebatte zum Mietnotstand und zur Situation im Asylwesen. Die Session war auch geprägt vom Abschiednehmen von liebgewordenen Ratskolleginnen und -kollegen, von Ungewissheit, wer die Wiederwahl schafft und Sondiergesprächen zu den Bundesratswahlen. 

Energiewende: Umwelt kommt mit blauem Auge davon

Der Mantelerlass ist ein 143 Seiten dickes Gesetzeswerk zur Umsetzung der Energiewende. In Rekordzeit haben wir es durchberaten. Grosse Wind- und Solaranlagen werden neu nationalen Interessen gleichgestellt und 16 Wasserkraftwerke wurden ins Gesetz aufgenommen. Damit erhalten Grosskraftwerke hohe Priorität. Investitionen in Erneuerbare werden neu attraktiv finanziert. Die SP konnte viel einbringen. Bezüglich Energieeffizienz werden sogar Energieversorger in die Pflicht genommen, eine Revolution! Lange drohte die Vorlage abzustürzen. Bürgerliche wollten die Restwassermenge in Flüssen reduzieren und wertvollen Auen das Wasser entziehen, um mehr Strom zu produzieren. Dagegen hätten die Umweltverbände das Referendum ergriffen. Die SVP wollte den Zubau von Windkraft aus dem Gesetz streichen und drohte wegen der Solarpflicht auf Neubauten und Parkflächen mit dem Referendum. Schlussendlich mussten alle Federn lassen. Eine Seite gab beim Restwasser nach, die andere bei der Solarpflicht. Mit diesem Mantelerlass kann die Energiewende jetzt rasch umgesetzt werden. Es sei denn Rechtsaussen ergreife mithilfe der SVP das Referendum wegen den Windanlagen. 

12. September 1848: der wirkliche Geburtstag der Schweiz

Die vereinigte Bundesversammlung feierte 175 Jahre Bundesverfassung. Alles mit Rang und Namen in der politischen Schweiz war im Bundeshaus. 1848 wurde der Verfassungstext in nur 50 Tagen niedergeschrieben, er hat bis heute im Wesentlichen noch Bestand. Alain Berset würdigte in einer tiefgründigen Rede: «Der Aufbruch 1848 war die Staatsform des Optimismus und des Fortschrittwillens, der Überzeugung, dass der Rechtsstaat zu den grössten Errungenschaften zählt.» Ein scharfer Kontrast zu dem, was wir heute erleben! Die kabarettistische Einlage von Joachim Rittmeyer kam der SVP in den falschen Hals. In der Rolle eines frisch eingebürgerten Ungaren trug er eine satirische Version der Landeshymne vor. Die Reihen der SVP lichteten sich: zu viel Selbstironie. Der Reformwille, Mut und Optimismus, der damals die Schweiz prägte, sind Eigenschaften, die wir heute in der Politik vermissen.

Immobilienkonzerne haben in Bern eine stärkere Lobby als Mietende

In Zeiten von Wohnungsnot, explodierenden Mieten und schwindender Kaufkraft ist nicht nachvollziehbar, warum die Mehrheit des Parlaments der Immobilienbranche nähersteht als der Mehrheit der Bevölkerung. Während der ganzen Legislatur haben die Bürgerlichen das Mietrecht in einer Salamitaktik geschwächt. Die Vorstösse für Mietende in der Sonderdebatte wurden alle abgeschmettert. Zudem wurden vier Vorstössen im Ständerat angenommen, die Kündigungen von Mietverträgen und Mietzinserhöhung vereinfachen. Jeder Vorstoss ist ein weiteres Puzzleteilchen zur Schwächung des Mietrechts. Die Bevölkerung leidet unter explodierenden Mieten, trotzdem dient das Parlament der Immobilienbranche. Jetzt wird das Referendum ergriffen, diese Fehlentscheide von Mitte-Rechts müssen korrigiert werden. 

Kein Politikverbot mehr während dem Mutterschaftsurlaub

Heute verliert eine Parlamentarierin ihre Mutterschaftsentschädigung für ihre hauptberufliche Tätigkeit, sobald sie an einer Sitzung des Parlaments teilnimmt. Neu gilt die Ratstätigkeit nicht mehr als Aufnahme der Erwerbstätigkeit. Die neue Regelung gilt auf Gemeinde-, Kantons- und Bundesebene. Ein Erfolg, der auf Standesinitiativen mehrerer Kantone zurückgeht. Eine Mehrheit der SVP-Fraktion sagte Nein, denn Männer würden damit benachteiligt! 

Konfuse Haltung der Landwirtschaft zur Biodiversitätsinitiative 

Der biologischen Vielfalt in der Schweiz geht es schlecht, wir haben eine Biodiversitätskrise. Der Bundesrat hat deshalb als Gegenvorschlag zur Biodiversitätsinitiative Qualitätsaufwertung und Vernetzung von ökologischen Flächen vorgeschlagen, sowie zusätzliche Vorgaben an die Landwirtschaft. Im Ständerat wurde dieser Vorschlag versenkt. Zurück im Nationalrat haben wird in der Umweltkommission den Fokus von der Landwirtschaft weggenommen und auf das Siedlungsgebiet in die Pflicht genommen. Verschotterung und Pestizideinsatz im urbanen Raum sollen verboten oder mindestens erschwert werden. Die Landwirtschaft müsste frohlocken! Aber weit gefehlt. Biodiversität ist offenbar ein Reizwort für die Landwirtschaft. Sie lehnen auch diesen Gegenvorschlag ab. Im Nationalrat wurde der geänderte Gegenvorschlag zwar überwiesen, dich im Ständerat braucht es noch viel Überzeugungsarbeit. Obwohl kein Argument dagegenspricht und auch die Städte den Vorschlag begrüssen. 

Kehrtwende der Mitte verhindert Entlastung des Mittelstandes

Die Prämienentlastungsinitiative der SP ist ein sozialpolitisches Projekt: niemand soll mehr als 10 Prozent des verfügbaren Einkommens für die Krankenkassenprämie zahlen. Zur Umsetzung hat der Nationalrat einen griffigen Gegenvorschlag erarbeitet, mit dem die Menschen in unserem Land mit 3 Milliarden Franken rasch und wirksam entlastet worden wären. Doch der Ständerat wollte davon nichts wissen. Statt im Nationalrat daran festzuhalten, hat die Mitte ihre Meinung gekehrt und stimmte gegen die Entlastung der Bevölkerung. Schon heute zahlt eine vierköpfige Familie über 1000 Fr. pro Monat für die Krankenkassen, und es wird nächstes Jahr noch teurer. Der Mittelstand ächzt unter den ständig steigenden Kosten. Der Prämienschock sitzt tief. Die SP setzt sich weiterhin für bezahlbare Prämien ein! Die Prämienentlastungsinitiative hat gute Chance an der Urne angenommen zu werden.

Bei Autobahnen gibt das Parlament Gas

Die Autolobby hat sich im Parlament durchgesetzt: Für 5,3 Milliarden Franken sollen Schweizer Autobahnen ausgebaut werden. Die geplanten Projekte widersprechen dem Klimaschutz und führen zu Mehrverkehr. Dagegen wird von einer breiten Allianz das Referendum ergriffen. Der Nationalrat will zudem auch die A1 auf den Strecken Bern–Zürich und Lausanne–Genf auf mindestens sechs Spuren ausbauen und hat dabei die Unterstützung des Bundesrates. Im Umwelt- und Verkehrsdepartement weht mit BR Rösti eindeutig ein anderer Wind!

Steter Tropfen höhlt den Stein

In dieser Session hatte ich erneut mit einer Motion zugunsten des Tierwohls Erfolg. Tiere mit einem Tierwohl-Label wie Bio werden durch lange Transportwege am Ende ihres Lebens grossem Stress ausgesetzt. Sie werden aus Gebirgstälern zusammengeführt und bis nach Basel zur Schlachtung gekarrt. Mit lokalen Schlachtkapazitäten kann das verhindert werden. 

Motionen sind nur ein kleiner Teil der parlamentarischen Arbeit. Wichtiger ist die Arbeit in den Kommissionen, dort kann man ohne mediale Aufmerksamkeit viel bewirken. Diese Arbeit kann nicht in Zahlen gemessen werden. Das Rating von SRF zeigt also nur einen Teilaspekt der Arbeit in Bern. Trotzdem freut es mich, dass ich untern den Top 20 der Erfolgreichsten im Parlament aufgeführt werde. Für die Linken, die immer in der Minderheit sind, braucht es ein gutes Netzwerk, um Mehrheiten für Vorstösse zu beschaffen.

Michael Elsener hat meinen Einsatz für die Umwelt in einem Videoclip gewürdigt: https://www.michaelelsener.ch/erklaerts/

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