Sommersession 2023 des Nationalrats

Spannender Anlass

Von Martina Munz, Nationalrätin. www.martinamunz.ch

Am 14. Juni war im Nationalratssaal Violett angesagt: Ob Bluse, T-Shirt, Halstuch oder Scrunchie, frau markierte: Heute ist feministischer Streik! In dieser Legislatur haben wir viel erreicht, vor allem beim Sexualstrafrecht. Viel bleibt noch zu tun, vor allem bei der Lohngleichheit, bei bezahlbaren Kitaplätzen und beim Schutz vor Gewalt.

Für das Auto hat es immer Geld
Das Erweiterungsprogramm der Nationalstrassen ist überdimensioniert und überteuert. Es steht den Klimazielen diametral entgegen, ohne die Verkehrsprobleme zu lösen. Die zweite Fäsenstaubröhre erweitert die Kapazität auf der Nord-Südachse und wird den Stau Richtung Thayngen verlagern. Gleichzeitig muss der Vollanschluss Schaffhausen Nord über die Klinge springen. Damit wird der Ziel- und Quellverkehr, der jetzt auf der Autobahn ist, wieder durch Wohnquartiere und die Innenstadt gelenkt. Ein verkehrspolitischer Rückschritt. Das ist nur eines von drei nationalen Ausbauprojekten, das umstritten ist und von der lokalen Bevölkerung nicht mitgetragen wird. Damit bei einem Referendum die Romandie dem Netzausbau auch zustimmt, wurde ein noch nicht baureifes Milliardenprojekt bei Genf ins Luxuspaket aufgenommen. Bundesrat Rösti verkündete sogar, dass er die A1 Zürich-Bern auf sechs Spuren erweitern will. Obwohl die Bürgerlichen wegen der Covid-Verschuldung Sparprogramme durchdrücken, für überrissene Strassenprogramme kann nicht genug Geld ausge- geben werden.

Reform des Sexualstrafrechts: ein gesellschaftlicher Meilenstein
Historischer Entscheid: Nach jahrelangen, intensiven Debatten findet die Reform das Sexualstrafrechts ihren Abschluss. Amnesty international schreibt: «Wir feiern einen Sieg für die Menschenrechte in der Schweiz.» Wer hätte vor vier Jahren gedacht, dass wir in dieser Legislatur soweit kommen und fundamentale, gesellschaftliche Veränderungen im Gesetz festschreiben? Der Ansatz «Nein heisst Nein» ist rechtlich kaum zu unterscheiden von «Nur Ja heisst Ja». Mit der Reform sind die Betroffenen vor sexualisierter Gewalt viel besser geschützt, der Begriff der Vergewaltigung ist viel breiter gefasst und das sogenannte Freezing oder Schockstarre wird im Gesetz verankert. Zudem müssen Tatpersonen in ein Lernpro- gramm, das ist der beste Opferschutz. Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider spricht von einem Meilenstein. Die SP, allen voran Tamara Funiciello, hat ihn entscheidend mitgeprägt und konnte den männerdominierten Ständerat überzeugen. Eine grossartige Leistung einer Politikerin, die unverblümt Missstände nennt und kein Blatt vor den Mund nimmt.

Stau- und Speicherseen nicht an China verscherbeln
Grosse Wasserkraftwerke sind Monopolinfrastrukturen, die für die Versorgungssicherheit der Bevölkerung höchste Priorität haben. Besitzer sind meist Energieriesen, wie die Axpo. Sie betreiben Gewinnmaximierung mit unserem Volksvermögen. Wasserkraftwerke an die Börse zu bringen oder zu verkaufen kann für sie eine lukrative Optionen sein. China investiert zurzeit weltweit in strategische Infrastrukturen. Damit treibt die Grossmacht Länder in ihre Abhängigkeit. Für einmal waren sich SP und SVP einig: energiewirtschaftliche Schlüsselinfrastrukturen gehören in heimische Hände. Ausländische Übernahmen im Sinne der Lex Koller sind zu verhindern. Stromanlagen sind «too important to fail». Acht Jahre war die parlamentarische Initiative von Jacqueline Badran unterwegs bis nun endlich ein Gesetzestext in einer «unheiligen Allianz» eine Mehrheit im Nationalrat fand.

Nationalrat will Stimm- und Wahlrecht 16
Zweimal hat sich der Nationalrat schon für das Stimmrechtsalter 16 ausgesprochen. Trotzdem weigert sich die zuständige Kommission eine Vorlage auszuarbeiten und wollte den Vorstoss abschreiben. Glarus ist der einzige Kanton, der die 16-Jährigen mitbestimmen lässt. Rechtlich sind die Jugendlichen schon weit vor dem 18. Altersjahr urteilsfähig. Warum sollten sie nicht über ihre Zukunft mitzubestimmen können? Auch der staatspolitische Un- terricht an den Schulen könnte viel praxisnäher gestaltet werden. Jugendliche wollen poli- tische Verantwortung übernehmen. Der Nationalrat entschied wieder knapp fürs Stimmrecht 16. Die vielen Jugendlichen auf dem Bundesplatz freuten sich!

Rentenalterhöhung: GLP und SVP zeigen ihr wahres Gesicht
Die Renteninitiative der Jungfreisinnigen fordert das Rentenalter 66 und danach eine automatische Anpassung gekoppelt an die Lebenserwartung. Nur ein Jahr nach dem die Frauen bereits eine Erhöhung des Rentenalters schlucken mussten, verlangten GLP, FDP und SVP die Ausarbeitung eines Gegenentwurfs zur Initiative. Treffen würde das die kleinen Einkom- men, die sich keine Frühpensionierung leisten können. Die ungeheuerliche Botschaft der «automatischen Rentenaltererhöhung» wurde in Watte gepackt und als «AHV-Schulden- bremse» getarnt. Die GLP offenbarte sich bei dem Deal als Hardlinerin und verhalf dem Anliegen zum Erfolg. Doch die SVP hat kalte Füsse bekommen und verlangte noch während der Session ein Rückkommen. Eine automatische Rentenaltererhöhung im Wahljahr kommt nicht gut an. So wurde die Ausarbeitung eines Gegenentwurfs doch noch bachab geschickt. Den Jungfreisinnigen wird damit der elegante Ausweg für einen Rückzug ihrer chancenlosen Initiative verwehrt. Diese kommt voraussichtlich im Frühling zusammen mit unserer «13. AHV-Rente» vors Volk, die sichere Renten verlangt, um die Kaufkraft zu schützen.

Der Kampf gegen die Zersiedlung kommt voran
Heute stehen rund 40 Prozent aller landwirtschaftlichen Gebäude im Nichtbaugebiet und jedes Jahr kommen 2’000 Gebäude dazu. Diese zunehmende Bautätigkeit führt zu fortschreitendem Kulturlandverlust, Zersiedelung und Mehrverkehr. Die zweite Etappe des Raumplanungsgesetzes ist bereits seit 5 Jahren unterwegs und will den Wildwuchs des Bauens im Nichtbaugebiet stoppen. Dank der Landschaftsinitiative konnte die Stabilisie- rung der Anzahl Gebäude sowie die Bodenversiegelung ins Gesetz eingebracht werden. Zu- sammen mit der Mehrwertabgabe und der Abbruchprämie entstand ein griffiger Geset- zesentwurf. Noch bevor das Gesetz fertig war, hat die SVP, gestützt durch flammende Voten von Bundesrat Rösti, bereits wieder einen Schicksalsartikel einbauen wollen, der diametral gegen das Stabilisierungsziel wäre. Angebaute, voluminöse Ökonomiegebäude hätten vollständig zu Wohnzwecken umgenutzt werden können. Die Folge wären Mehrfamilienhäuser mit Parkplätzen und allen Infrastrukturanlagen. Die Bauernlobby befürchtete, dass damit Landwirtschaftsbetriebe zu Renditeobjekten würden und scherte aus. Mit einem Winkelzug versuchte die SVP die Bauernschaft zum Einlenken zu bringen. Ich durch- schaute das Spiel. Durch taktisches Abstimmen verhinderte die SP den Schicksalsartikel. Ein griffiges Gesetz zum Schutz des ländlichen Raums ist jetzt gut auf Kurs.

Ständerat auf populistischem Tiefpunkt
Noch nie waren so viele Menschen auf der Flucht wie heute, deshalb werden im Herbst höhere Zahlen von Asylsuchenden erwartet. Mit einem Nachtragskredit für 3’000 Plätze wollte Bundesrätin Baume-Schneider die Situation auffangen. Der Ständerat lehnte den Kredit jedoch ab, auch als ihn der Nationalrat als Kompromiss halbierte. Ein verantwortungsloser und unverständlicher Entscheid. Blockadepolitik wird auf Kosten von Menschen auf der Flucht betrieben. Offenbar käme der SVP ein Chaos im Asylwesen auf die Wahlen hin gerade recht, die anderen bürgerlichen Parteien spielten das Trauerspiel mit. Im Stän- derat wurden zudem Vorstösse der FDP gegen alle Vernunft angenommen. Zum Beispiel sollen Eritreer in einen Drittstaat wie Ruanda ausgewiesen werden, obwohl dies rechtlich nicht umsetzbar ist. Der Tagi titelte: «Der Ständerat sinkt auf einen populistischen Tief- punkt» und weiter, «das Motto der FDP und Teilen der Mitte scheint zu sein: Egal, wie de- struktiv. Hauptsache, gegen die SP-Asylministerin geschossen.» Unserer Bundesrätin, erst ein halbes Jahr im Amt, bläst ein rauer Wind ins Gesicht. Das Spiel auf die Person ist jetzt auch im Ständerat angekommen.

Trotz Solidarität Ukrainehilfe verweigert
Für humanitäre Hilfe und den Wiederaufbau in der Ukraine verlangte die aussenpolitische Kommission ein 5-Milliarden-Hilfspaket über mehrere Jahre. Doch das Hilfspaket wurde ablehnt. Der Höhepunkt war dann die Rede von Wolodimir Selenski zum Parlament. Als Zeichen der Solidarität trug die ganze SP-Fraktion Ukraine-Pins. Der ukrainische Präsident verzich- tete auf Kritik an der Schweiz, sondern dankte für erhaltene Unterstützung. Gleichwohl sprach er das heikle Thema nach strengerer Umsetzung der Sanktionen an. Wir waren be- eindruckt von seiner staatsmännischen und doch emotionalen Rede. Die SVP blieb dem virtueller Auftritt fern. Sie betrachtet die Ansprache des ukrainischen Präsidenten als unvereinbar mit der Neutralität und bezeichnete das Parlament als ‚Befehlsempfänger‘.

Hallau, 16.6.2023, Martina Munz www.martinamunz.ch

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