Frühlingssession 2023 des Nationalrates

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Die Diskussionen über Neutralität und Wiederausfuhr von Waffen prägte diese Session. Die neutrale Schweiz steht rechtlich, politisch und moralisch in der Pflicht. Bei einem Aggressor, der Völkerrecht bricht, haben wir es nicht mit zwei Kriegsparteien zu tun. Das Land, das sich legal verteidigt, braucht unsere Unterstützung für Menschlichkeit und Demokratie. Wir dürfen uns nicht hinter der Neutralität verstecken. Die Schweiz braucht ein neues Selbstverständnis als engagierte Anwältin des Völkerrechts und der Menschenrechte. Darum muss sie auf der Seite der Ukraine stehen für ein freies und offenes Europa.

«Frau, Leben, Freiheit»
Die mutige Frauenrevolution im Iran verstummt nicht. In einer Erklärung verurteilte der Nationalrat die Gewalt des islamischen Regimes und forderte den Schweizer Finanz- und Handelsplatz auf, Verantwortung zu übernehmen. Doch die Schweiz schaut lieber weg, wenn es ums grosse Geld geht. Der russische Staat finanziert sich hauptsächlich über Öl und Gas. Vor dem Krieg wurden 80 Prozent über die Schweiz gehandelt. Ein Jahr nach Kriegsausbruch weiss der Bundesrat noch immer nicht, ob der russische Rohstoffhandel gestoppt ist. Wir diskutieren über Neutralität und Weiterverkauf von Waffen. Doch schnell geht vergessen, dass die Schweiz als Drehscheibe der Finanzierung des Krieges dient.

Kita-Finanzierung: historischer Sieg
Das Bundesgesetz zur ausserfamiliären Kinderbetreuung soll jährlich mit 710 Millionen Franken Kitaplätze vergünstigen. Die Schweiz hat die teuersten Betreuungsplätze, sie belegt Platz 38 von 41 OECD-Ländern mit Folgen für den Arbeitsmarkt, Gleichstellung und Chancengleichheit. Eine Familie mit drei Kindern zahlt bis zu 40’000 Franken pro Jahr für drei Tage pro Woche. Nun soll die Schweiz zu ihren Nachbarländern aufschliessen. Die Vorlage ist keine Luxuslösung, aber ein Meilenstein. Der Bundesrat lehnte das Gesetz aus Kostengründen ab. Dennoch fand es eine Mehrheit dank den bürgerlichen Frauen. Sie haben dem innerparteilichen Druck ihrer Fraktionen standgehalten und haben dem Gesetz zum Durchbruch verholfen. Es spielt eben doch eine Rolle, ob mehr Frauen im Parlament sitzen. Sie spüren die Karriereunterbrüche und tiefen Pensen beim Lohn und später bei der Altersvorsorge. Nach zwanzig Jahren befristete Anschubfinanzierung unterstützen auch der Arbeitgeberverband diese fast revolutionäre Vorlage. Voraussichtlich wird dem Ganzen vom männer-lastigen Ständerat noch ein Dämpfer verpasst, aber die historische Hürde ist geschafft.

Schluss mit Maulkorb für Medienschaffende
Vor einem Jahr wurden die «Suisse Secret» veröffentlicht. Der Grossbank CS wurde vorgeworfen mit korrupten Machthabern, Mafiabossen und Drogendealern Geschäfte zu machen. Erstaunlich: Schweizer Medienschaffende waren an der Recherche nicht beteiligt, sie befürchteten Konsequenzen, weil bei der Abschaffung des Bankgeheimnisses 2015 die FDP es geschafft hat, einen Maulkorbartikel für die Presse einzuführen. Bis zu drei Jahren Haft drohten Medienschaffenden, wenn sie sich bei Recherchen auf geleakte Bankdaten stützten. «Wer Verbrechen aufdecken möchte, wird selbst zum Verbrecher». Das führte international zu Kritik. Die UNO-Berichterstatterin für Pressefreiheit intervenierte. Die Kriminalisierung der Informationsverbreitung durch Journalist:innen verletze das Völkerrecht. Unter diesem Druck kam der Nationalrat zur Einsicht. Gegen die Mitte und SVP wird nun auch im Finanz-bereich die Pressefreiheit wieder hergestellt.

Bankenrettung ist systemrelevant, Klimarettung ist business as usual
Und schon muss wieder eine Bank mit Staatsgeldern gerettet werden. Die CS hat viel für Schlagzeilen gesorgt und fehlbares Verhalten an den Tag gelegt. Es erstaunt, dass nicht früher eingegriffen wurde. Zwar ist die Stabilisierung des Schweizer Finanzsystems richtig. Aktionär:innen, die in der Krise nicht bereit waren, Verantwortung zu übernehmen, sollen keine Gewinne einstreichen dürfen. Zudem zeigt es sich, dass schnell viel Geld für die Rettung einer Bank zur Verfügung steht. Für die Rettung des Klimas hingegen gibt es keines.

BVG auf Zielgerade aber ohne Einigung: Referendum so gut wie sicher
Die Revision der beruflichen Vorsorge ist ein Scherbenhaufen. Es ist eine teure Abbauvorlage. Der Kompromiss der Sozialpartner wurde in den Wind geschlagen. Die Versicherten der 2. Säule sollen künftig mehr bezahlen und weniger Rente erhalten. Auch die Frauenrenten werden nicht verbessert. Damit werden die Versprechen mit der Erhöhung des Frauenrentenalters definitiv nicht eingehalten. Durch den tieferen Umwandlungssatz werden die Renten bis in den Mittelstand kleiner. Zwar ermöglicht der tiefere Koordinationsabzug Frauen mit kleineren Löhnen in die Pensionskasse einzuzahlen. Die Rente bleibt jedoch lächerlich klein. Grund sind unter anderem die hohen Verwaltungskosten von jährlich 1’500 Franken pro Person. Das grenzt an Abzockerei. Dieses Problem wird weiterhin nicht angegangen. Ein Referendum ist unvermeidbar. Nun stellen sich auch die Wirtschaftsverbände zunehmend gegen diese teure Reform. Der Bauernverband hat klar Stellung bezogen: «Die Kosten sind für die Landwirtschaft nicht mehr tragbar.»

Geld und Gülle-Allianz hält wie Pech und Schwefel
Die ursprüngliche Agrarpolitik AP22+ hat Reformängste ausgelöst. Der Bundesrat musste abspecken. Die Massnahmen im den Bereichen Nachhaltigkeit, Ökologie und Tierschutz fielen der Entschlackung zum Opfer. Die wenigen ökologischen Verbesserungen, die der Bundesrat noch einführen wollte, wurden vom Ständerat weggeputzt und der Nationalrat hat der Vorlage noch die letzten Federn gerupft. Diese AP ist keine Reform und schon gar keine Transformation der Landwirtschaft in Richtung nachhaltige Land- und Ernährungswirtschaft. Es war schockierend, dass in der Kommission keine Diskussion stattfand. Der Bauernlobby ist es gelungen sämtliche Forderungen in den Bereichen Klima und Nachhaltigkeit vom Tisch zu fegen, ohne zu argumentieren. Der Pakt von Economiesuisse und Bauernverband hält und sichert die bürgerliche Mehrheit. Und das, obwohl die Biodiversitätskrise akut und eine intakte Natur die Produktionsgrundlage der Landwirtschaft ist. Die nächste Agrarpolitik soll 2030 Reformen anpacken. Acht weitere Jahre Stillstand! Wie soll dem Parlament in der übernächsten Legislatur die Transformation in eine ökologische und resiliente Landwirtschaft gelingen, wenn schon heute kein Reförmchen möglich ist? Die Bauernlobby im Bundeshaus erweist der praktizierenden Landwirtschaft auf dem Feld und im Stall mit dieser Blockade einen Bärendienst.

Trotz Wohnungsnot: Mietrecht wird geschwächt
Die steigenden Prämien, die Teuerung und die explodierenden Mieten setzen den Leuten zu. Seit 2008 hätten die Mieten wegen der tiefen Zinsen sinken sollen, sie sind aber gestiegen. Immobilienfirmen verdienen damit jährlich 10.5 Milliarden zu viel. Trotzdem verschlechtert das Parlament das Mietrecht laufend, auch diese Session wurde der Kündigungsschutz gelockert. Untermiete darf höchstens noch zwei Jahre dauern und bei Eigenbedarf kann einfacher gekündigt werden. Bald soll auch die Anfechtung des Anfangszinses praktisch abgeschafft und die Marktmiete durchgesetzt werden. Dadurch werden die Mieten weiter in die Höhe klettern. Der Plan der Immobilienlobby scheint aufzugehen. Die Macht der börsenkotierten Immobilienfirmen und Pensionskassen ist riesig. Zwei Drittel der Schweizer Bevölke- rung sind Mieter:innen. Es ist absolut dringend, dass das Parlament diesen Menschen den Rücken stärkt und sie besser vor Missbrauch schützt.

Zubau von Strom: Dilemma von Schutz- und Nutzinteressen
Der Mantelerlass ist eine komplexe Energievorlage zur Sicherung der Stromversorgung. Für die Energiewende braucht es einen massiven Zubau von erneuerbarer Energie aus Sonne, Wind, Wasser, Geothermie und Biomasse. In der Vorlage sind auch Effizienzziele für den Stromverbrauch vorgesehen. Für Neubauten und grosse Parkplätze gilt neu eine Solarpflicht. Im Nationalrat lehnte eine unheilige Allianz von SVP und Grünen die vereinfachten Verfahren für Wind- und Solarparks ab. Die SVP will keine Windparks dafür AKW, die Grünen keine Eingriffe in die Natur. Die SP war zu Konzessionen bereit. Aber mit der Aufhebung der Restwasserbestimmungen für Wasserkraftanlagen wurde eine rote Linie überschritten. Kompromisse sind nötig, wenn wir von fossiler und atomarer Energie wegkommen wollen. Der Stän- derat hat nun die Chance, die Vorlage zu flicken. Gelingt ihm das, würde die Energiewende einen gewaltigen Schritt vorwärtskommen. Sonst sind wir wieder zurück auf Feld Eins.

Hallau, 19.3.2023, Martina Munz, Nationalrätin/ www.martinamunz.ch

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