Transparenz vor Wahlen und Abstimmungen, wie weiter?

Die SP-Fraktion des Kantonsrates verlangte eine Variantenabstimmung.

Votum von SP-Fraktionssprecher Matthias Freivogel:

Ich möchte heute an unseren geballt versammelten gesunden Menschenverstand zu appellieren. Er ist – da bin ich mir sicher – in diesem Saal gut vertreten. Einige von Ihnen werden womöglich denken: Und das sagt ausgerechnet ein Jurist. Doch – mit Verlaub – auch meines Gleichen, es gibt ja mehrere in diesem Rat, geht er bisweilen nicht völlig ab. Manchmal freilich ist er gepaart mit juristischem Sachverstand, was jedoch a priori nicht unbedingt schädlich sein muss. 

Eigentlich ist die jetzt zur Diskussion stehende Sache ganz einfach, es braucht kein Politologie-Seminar, wie die SN meinte: Wir alle, oder zumindest eine deutliche Mehrheit des Rates hat es so signalisiert, möchten zukünftig mehr Transparenz bei Wahlen und Abstimmungen über die dafür aufgewendeten finanziellen Mittel. Das wollten vor knapp drei Jahren auch rund 54 Prozent der Schaffhauser Bevölkerung, weshalb es jetzt auch ziemlich detailliert in Artikel 37a der KV steht. 

Zur Einführung von mehr Transparenz braucht es freilich noch ein Transparenzgesetz (TG), was auch vom Obergericht so festgehalten wurde. Für dessen Beratung und Verabschiedung sind wir als KR zuständig – das Volk hat uns vor knapp 3 Jahren mit Annahme der Volksinitiative der JUSO einen entsprechenden Auftrag erteilt. 

Bei der Ausführung dieses Volksauftrages sind Regierungs- und Kantonsrat jedoch auf halbem Weg, ja schon weit vorher, stecken geblieben. 

Es hat sich, wie schon im Vorfeld der Volksabstimmung anfangs 2020 gewarnt, mithin erwartbar gezeigt, dass der Weg ans Ziel, das heisst bis zum Erlass eines TG, nicht ganz einfach, aber durchaus gangbar ist, wie das Beispiel des Kantons Schwyzzeigt, wo eine gleichartige JUSO-Initiative vom Volk rund 2 Jahre vorher, also bereits anfangs 2018, angenommen wurde. Jedenfalls hat das Schaffhauser Stimmvolk im Februar 2020 entschieden, den in der Initiative der JUSO umschriebenen Auftrag zur Herstellung von mehr Transparenz bei Wahlen und Abstimmungen zu erteilen. Das ist unstrittig.

Doch hat Ratskollege Heydecker, FDP, vor anderthalb Jahren gefunden, der vom Volk vorgegebene Weg sei zu steinig, was eigentlich gar nicht so zu seinem Naturell passt, auch schwierige Herausforderungen anzupacken. Er hat eine Motion eingereicht, die einen neuen, wie er meint, einfacheren Weg zu mehr Transparenz vorgeben soll. Dabei erhielt er die Unterstützung der Regierung und fand in diesem Rat – leider – eine Mehrheit. 

Die Krux bestand und besteht nun aber darin, dass dieser Rat als Auftragnehmer des Souveräns – Sie merken, der Jurist drückt langsam wieder durch – den Volksauftrag nicht einfach nach seinem Gusto abändern kann. Will heissen, wir müssen als KR den Souverän fragen, also das Volk, ob es den im Februar 2020 erteilten Auftrag überhaupt anpassen will oder nicht.

Heute stehen wir genau an dem Punkt, in welcher Form wir das tun wollen. Es gibt verschiedene Möglichkeiten. Wir von der SP denken, es sollten dem Stimmvolk als Auftraggeber möglichst einfache, klare Fragen unterbreitet werden, nämlich: 

1. wollt ihr an dem vor knapp drei Jahren beschlossenen Auftrag, angereichert bzw. präzisiert mit den Vorgaben der Umsetzungsinitiative festhalten, oder

2. wollt ihr als Auftraggeber dem KR einen neuen abgeänderten Auftrag,basierend auf der Motion Heydecker gemäss Kommissionsvorlage Nr. 22-104erteilen, den die Mehrheit dieses Rates und die Regierung für leichter umsetzbar halten, oder

3. wollt ihr einfach bei dem bleiben, was ihr bereits im Februar 2020 beschlossen habt.

Genau über diese drei Varianten, nicht mehr und nicht weniger, muss das Stimmvolk demnächst entscheiden können. 

Ich werde ihnen nun anhand eines «Ostergleichnisses» diese Konstellation kurz erläutern. Denken Sie aber bitte nicht, jetzt hält er uns auch noch eine Predigt. 

Vor gut 60 Jahren habe ich als achtjähriger Knirps jeweils vor Ostern am Karfreitag an meinem Heimatort Gelterkinden im Oberbaselbiet bei unseren Grosseltern Eier gefärbt. Dabei gab es zwei völlig verschiedene Vorgehens-weisen: Bei der einen Grossmutter wurden die Eier in „Zibelehültsche-Wasser“ gekocht, was ihnen eine schöne, ziemlich einheitliche goldbraune Farbe verlieh. Zur sanften wenig konturierten Anreicherung bzw. Auflockerung der Färbung wurden Kräuter oder kleine Blumen wie zum Beispiel Veilchen mit einem Faden um das Ei gewickelt, was die Färbung in der Folge nicht ganz eintönig erscheinen liess. Das ist die Kommissions-vorlage 22-104, also die soeben verabschiedete Vorlage «Mehr Transparenz, aber mit Augenmass». Bei der anderen Grossmutter wurden die Eier normal gekocht und danach, nicht nur von uns Grosskindern, mehr oder weniger bunt bemalt. Das ist die jetzt in Beratung stehende Vorlage 22-105, die «Umsetzungsinitiative». Beides hatte und hat seinen Reiz. Vor 60 Jahren wie auch heute. 

Und was passierte vor 60 Jahren an Ostern mit den Eiern? Nach dem Auffinden der Osternestli wurden die so oder anders gefärbten Eier in ein grosses Nest gelegt und jedes Familienmitglied, gleichgültig ob stimmberechtigt oder nicht, damals gab es das Frauenstimmrecht noch nicht, konnten das ihr/ihm am besten gefallende Ei herausnehmen. Danach gab’s das «Eiertütschen». 

Genau so soll es jetzt auch kommen, wenn das Stimmvolk an einem einzigen Tag im nächsten Frühling – wohl nahe Ostern – als Auftraggeber an uns darüber abstimmen wird, welcher Weg beschritten werden soll zum Erlass eines Transparenzgesetzes: Ist es der mit bunten Eckwerten versehene Pfad, also das bunte Ei von Artikel 37a KV mit den seit Annahme der Volksinitiative neu angebrachten Farbtupfern, oder ist es das neuere, eher dezent goldbraun eingefärbte Ei mit ganz leicht durchschimmernden Farbtönen. Wie gesagt: Beides hat seinen Reiz, aber nur dann, wenn beides auch verfügbar bzw. wählbar ist. Nimmt das Volk beide Vorlagen an, ergibt sich danach aus dem «Tütschen», welchem Ei der Vorzug gegeben wird. Verschmäht das Volk beide Eier, müssen wir mit dem bisherigen, also dem bestehenden Artikel 37a KV weiterarbeiten. Liegt aber nur ein Ei im Nest, hat das Stimmvolk keine echte Auswahl. Soweit meine ev. leicht religiös angehauchten Anwandlungen zum gesunden Menschenverstand. 

Ich ersuche Sie also, und jetzt gegen Schluss kommt langsam wieder der passionierte Jurist zum Vorschein, wie auch von beiden Gutachtern dringend empfohlen, beide Vorlagen möglichst bald gleichzeitig dem Souverän vorzulegen, also die Vorlage betreffend Umsetzungsinitiative und die Vorlage basierend auf der Motion Heydecker als Gegenvorschlag. So erhält das Schaffhauser Stimmvolk eine echte Auswahl und kann den von uns produzierten gordischen Knoten mit einem Schlag definitiv auflösen. 

Es hat das letzte Wort und wir haben uns danach zu richten. So wie es sich gehört in einer echten Demokratie, von denen es weltweit leider immer weniger gibt. Wenn nämlich über den Vorschlag Heydecker zuerst und allein abgestimmt würde, haben die Stimmberechtigten nicht die Möglichkeit, ihren Willen bezüglich der zur Diskussion stehenden unterschiedlichen Vorschläge klar und unverfälscht zum Ausdruck zu bringen. Will beispielsweise eine Stimmberechtigte, die den jetzt bestehenden Artikel 37a KV als zu einengend empfindet, der Vorlage Heydecker als Minimallösung zustimmen, gleichzeitig aber auch dem ihr besser gefallendenVorschlag der Umsetzungsinitiative, dem sie quasi als Mittellösung alsdann bei der Stichfrage den Vorzug geben könnte, bleibt ihr das bei einer vorgezogenen Abstimmung einzig über die Vorlage 22-104 verwehrt. Und dies, obwohl die Vorlage 22-105 mit der Umsetzungsinitiative ebenfalls hier fertig bereitsteht. Ja es kann sogar sein, dass sich diese Stimmberechtigte auch später nicht mehr zugunsten der Lösung Umsetzungsinitiative aussprechen kann, weil diese im Falle einer Annahme der Vorlage Heydecker in der Volksabstimmung möglicherweise ungültig erklärt werden könnte (so jedenfalls die Sicht von Regierung und Gutachter Uhlmann, nicht jedoch die Meinige). 

Die Behandlung der Umsetzungsinitiative hinauszuzögern mit einem noch neu zu schaffenden Gegenvorschlag macht sodann auch deshalb keinen Sinn, weil die Kantonsratsmehrheit ja keine mit gewissen Details versehene Transparenzregelung auf Verfassungsstufe will, sondern nur zwei sehr allgemein gehaltene Grundsätze, die dann vom Gesetzgeber in einem Transparenzgesetz konkretisiert werden sollen.

Wird dem Antrag der Kommissionsmehrheit gefolgt, die Vorlage 22-104 vorgezogen und gegebenenfalls der Umsetzungsinitiative später ein anderer Gegenvorschlag gegenübergestellt, so hat das Stimmvolk bei der vorge-zogenen Abstimmung keine echte Auswahl und kann ihren Willen zu den jetzt vorliegenden Varianten nicht klar und unverfälscht zum Ausdruck bringen.

Schliesslich wäre der Entscheid bei einer vorgezogenen Abstimmung allein über die Kommissionsvorlage 22-104 kein abschliessender, sondern lediglich ein Zwischenentscheid, der weitere Volksentscheide nach sich ziehen könnte: Würde die Vorlage vom Volk angenommen, müsste nachher noch über das weitere Vorgehen bei der Vorlage 22-105 beraten und entschieden werden, allenfalls sogar vor Gericht, und/oder erneut vor dem Volk. Das kann Jahre dauern. Würde die Kommissionsvorlage 22-104 vom Volk abgelehnt, müsste ebenfalls über das weitere Vorgehen bei der Vorlage 22-105 beraten und entschieden werden, Stichwort neuer Gegenvorschlag, was unnötigerweise sehr viel Zeit und Ressourcen des Kantonsrates beanspruchen würde. In beiden Fällen wären wir zurück auf Feld 1. 

Gehen wir aber den Weg, wie er von der Regierung und der Kommissions-minderheit gestützt auf beide Gutachten vorgeschlagen wird, würde dies alles entfallen. Wir wären nach der Abstimmung jedenfalls auf Feld 2, also einen echten Schritt weiter in Richtung Vorlage eines Transparenzgesetzes. Die Regierung könnte diese Vorlage nach den Vorgaben des neuen Volks-entscheides fertigstellen und an den Kantonsrat zur Beratung schicken. Dies wäre in rund einem halben Jahr machbar. Danach könnten wir im Kantonsrat die Vorlage beraten und verabschieden, wie es sich gehört. 

Wer also nur schon die demokratischen Abläufe nachvollziehbar, effizient und klar sowie rechtlich korrekt gestalten möchte, ist aufgerufen, dem Minderheitsantrag der Kommission zu folgen. 

Laut dem fundiert abgestütztem Gutachten Marti Seite 9 bis 11 erfordern die Anforderungen der Abstimmungsfreiheit gemäss Bundesverfassung Artikel 34 Absatz 2 als praktische Konsequenz die Chancengleichheit zwischen der vor-liegenden Volksinitiative (Vorlage 22-105) und dem parlamentarischen Be-schluss, der heute unmittelbar vorher als Kommissionsvorlage 22-104 verab-schiedet worden ist. Mit anderen Worten: Da ein offensichtlicher inhaltlicher, zeitlicher und prozessualer Zusammenhang besteht zwischen den beiden Vorlagen «drängt sich (Zitat) die Behandlung der heute bereinigten Vorlage Motion Heydecker als Gegenvorschlag zur Umsetzungsinitiative aufgrund der Abstimmungsfreiheit gemäss Art. 34 Abs. 2 BV und der daraus abgeleiteten Grundsätze zwingend auf» (gekürztes Zitat aus Gutachten Marti S. 11 oben). 

Dem Schaffhauser Stimmvolk, welches vor knapp 3 Jahren mit Annahme der Transparenzinitiative der JUSO ein Transparenzgesetz bestellt hat, ist jetzt eine korrekte Auswahl, wie zur Herstellung von Transparenz bei Wahlen und Abstimmungen weiter vorzugehen ist, zur Verfügung zu stellen. 

Darauf hat es einen verfassungsmässigen Anspruch.

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