Herbstsession 2022 des Nationalrats

Von Nationalrätin Martina Munz – Die Atmosphäre im Nationalrat wird zunehmend gehässiger, die Voten unflätiger. Die Anschuldigungen kommen immer aus der gleichen Ecke. Die Energiepreise seien so hoch, weil die Energiestrategie gescheitert sei. Als ob der Bundesrat dafür verantwortlich sei, dass Putin den Gashahn zudreht und in Frankreich die Hälfte aller AKW stillsteht. Tatsache ist, dass der Zubau von Fotovoltaik von genau diesen Leuten verhindert wurde und sie noch heute keine Solarpflicht auf Neubauten wollen. Dafür wollte der Ständerat den Zubau der Erneuerbaren gegen den Naturschutz mit dringlichen Massnahmen durchdrücken. Die Hektik der Corona-Epidemie hat auf die Energiepolitik übergegriffen.

Auch diese Session war erfreulich. Wir waren mit vielen Vorlagen erfolgreich.

Schluss mit Spekulation: Strom gehört zum Service public
Die explodierenden Strompreise verlangen dringliche Massnahmen. Ein Rettungsschirm von zehn Milliarden Franken musste über die drei Stromkonzerne Axpo, Alpiq und BKW aufgespannt werden, sie sind «too important to fail». Wenn Axpo strauchelt, straucheln alle Energieversorger. Ein gefährliches Domino! Das wollten nicht alle Parteien begreifen und den Rettungsschirm abschiessen. Dies konnte verhindert werden. Die Debatte im Nationalrat war hoch emotional bis grenzwertig, mit Drohungen, die an das Trumpsche Amerika erinnerten. Doch Axpo wurde von den Kantonen gegründet, um eine sichere und günstige Stromversorgung zu sichern. Unterdessen hat sie keinen Versorgungsauftrag mehr. Sie ist zur spekulativen Handelsfirma im Energiesektor geworden. Strom ist ein essenzielles Gut, das genauso wie Wasser in die öffentliche Hand gehört und von ihr gesteuert werden muss. Es braucht eine Neuaufstellung der Axpo. Die Liberalisierung ist gescheitert.


Landwirtschaftsvertreter wollen Biodiversitätsflächen pflügen
Mit dem Gegenvorschlag zur Biodiversitätsinitiative können wir einen grossen Erfolg feiern; 100 Millionen Franken sollen jährlich für den Erhalt der Artenvielfalt eingesetzt werden. Bis weit über die Mitte hinaus ist das Bewusstsein gewachsen, dass wir mit einer gesunden Natur auch unsere Lebensgrundlage schützen. Sogar die Kantone schrieben: «Der Verlust an Biodiversität und die damit einhergehenden Kosten von schätzungsweise 14 Milliarden Franken im Jahr 2050 bereiten uns Sorge». Trotzdem wetterten die Landwirtschaftsvertreter gegen die Initiative. Sie wollen auch die letzte Biodiversitätsfläche unter den Pflug nehmen, das gäbe Brot für eine Million Menschen, behaupteten sie. Eine falsche Milchbüechlirechnung! Tatsache ist, die Landwirtschaft die grösste Profiteurin einer intakten Natur. Mit Bestäubung, Bodenfruchtbarkeit und Rückhalt von Wasser leistet die Biodiversität eine enorme Systemleistung. Die Bauern wehrten sich zudem gegen die Vernetzung der Biodiversitäts- flächen. Ein GLPler brachte es auf den Punkt: «Wenn es summt und brummt, dann wächst es auch». Der Gegenentwurf wurde dann komfortabel angenommen.


Europäische Kampfjets für Luftverteidigung: günstiger und sinnvoller
Das grösste Rüstungsgeschäft in der Schweizer Geschichte ging diese Session über die Bühne: 9,5 Milliarden Franken für die Armee, gut zwei Drittel davon für Kampfjets. Die Beschaffung neuer Militärflieger sollte unaufgeregt und seriös ablaufen, so hatte es der Bundesrat versprochen. Stattdessen: Tricksereien, Intransparenz und ein verärgerter Nachbarstaat. Die Berichte von zwei Aufsichtsgremien zeigen gravierende Mängel bei der Beschaffung. Frankreich wurde aufgefordert, Angebote einzureichen, obwohl die Würfel bereits gefallen waren. Das VBS hat nicht mit offenen Karten gespielt. Deshalb wurde die Initiative «Stopp F-35» eingereicht. Der Bevölkerung wurde ein Kampfjet für Luftpolizei und Luftverteidigung versprochen. Jetzt wird aber ein amerikanischer Flieger für Überraschungsangriffe im feindlichen Raum gekauft, ein teurer Tarnkappenbomber. Das braucht die Schweiz nicht. Doch das Parlament gab grünes Licht wegen Dringlichkeit und wartete die Abstimmung über die Initiative nicht ab. Das ist demokratiepolitisch bedenklich. Die Initiative musste daraufhin zurückgezogen werden. Es bleibt ein fahler Nachgeschmack.

Rezepte gegen den Kaufkraftverlust könnten unterschiedlicher nicht sein
Unter den stark steigenden Krankenkassenprämien leidet zunehmend auch die Mittelschicht. Zudem drücken auch die Inflation und die Energiepreise aufs Portemonnaie. Gemeinsam mit der Mitte hat die SP eine dringliche Debatte zu Erhaltung der Kaufkraft verlangt und dazu auch Vorstösse eingereicht. Die SP forderte eine Erhöhung des Bundesbeitrags für die Prämienverbilligung um 30%, die Mitte schlug einen sofortigen Teuerungsausgleich bei den AHV-Renten vor. Beide Anträge waren gut abgestützt und kamen durch. Die SVP wollte die Mineralölsteuer senken, Kostenpunkt zwei Milliarden Franken. Deutschland hat genau das vorgemacht und die Steuern auf Diesel gesenkt. Eine Woche nach der Steuersenkung war der Preis wieder auf dem Vorwochenniveau. Was ist passiert? Das Geld wurde nicht an die Menschen im Land weitergegeben, es floss in die Taschen der Konzerne. Energie zu ver- günstigen ist grundsätzlich der falsche Ansatz, um die Leute zu entlasten. Die Kaufkraft kann besser über die Krankenkassenprämien und den Teuerungsausgleich der AHV gestärkt wer- den. Damit können die Menschen mit kleinem Einkommen gezielt gestützt werden, denn sie spüren den Verlust der Kaufkraft am heftigsten. Zugleich wird auch Energie gespart.


Gletscherinitiative: Ständerat bastelt «Lex Wallis»
Endlich! Der indirekte Gegenentwurf zur Gletscherinitiative ist ein Erfolg. Das Parlament hat bewiesen, dass es rasch handeln kann, auch wenn das Gesetz verfassungsrechtlich nicht über alle Zweifel erhaben ist. Das Netto-Null-Ziel wird ins Gesetz geschrieben. Für den Heizungsersatz hat die SP 200 Millionen Franken Fördergelder eingebracht. Nochmals 200 Millionen werden für die Dekarbonisierung von Unternehmen bereitgestellt. Die SVP will trotz des breitabgestützten Kompromisses das Referendum ergreifen und wird damit auch die Fördergelder für ihre Klientel bekämpfen. Der Ständerat verlangte zudem eine Solarpflicht für alle Neubauten. Für den raschen Zubau von zwei alpinen Freiflächenanla- gen im Wallis war die «Chambre de Réflexion» sogar bereit, die Prinzipien der Verfassung und Kantonshoheit zu verletzen. Damit hat sie das Augenmass verloren. Im Nationalrat konnten wir das Gesetz verfassungskonform zurechtbiegen und brachten zudem noch die Erhöhung der Grimsel-Staumauer ins Gesetz ein. Hektisch ging es während der Session zwischen den zwei Kammern hin und her, bis der Kompromiss geschmiedet war. Dass die Gletscherinitiative so viel bewirken kann, wäre vor einem Jahr noch undenkbar gewesen.


Wohneigentum gerecht besteuern
Einmal mehr sollte der Eigenmietwert abgeschafft werden, ohne gleichzeitig die Steuerprivilegien für den Unterhalt zu streichen. Dem Staat würden in finanzpolitisch schwierigen Zeiten 3,6 Milliarden Franken entgehen. Beim Eigenmietwert handelt es sich nicht um ein fiktives Einkommen, sondern um die Besteuerung eines effektiven, ökonomischen Nutzens. Mieterinnen und Mieter sind auf dem Wohnungsmarkt sowieso benachteiligt, ihre Wohnkos- ten sind ein Drittel höher. Eine Abschaffung des Eigenmietwertes würde zudem zu einer Übervorteilung einer älteren, vermögenden Bevölkerungsgruppe führen. Die Gebirgskan- tone waren auf der Seite der Gegner, sie fürchteten um die Einnahmen aus den Zweitwoh- nungen. Die Vorlage wurde an die Kommission zurückgewiesen. Cédric Wermuth meinte: «Das ist die am längsten andauernde Beerdigung eines bereits verlorenen Geschäfts.»


Erfolgreiche Kämpferinnen für soziale Gerechtigkeit
«Armut ist kein Verbrechen»; unter diesem Titel hat Samira Marti mit ihrem Vorstoss für Ausländerinnen und Ausländer gekämpft, die seit Jahrzehnten in der Schweiz leben, arbeiten und Steuern zahlen. Sie können aus der Schweiz weggewiesen werden, wenn sie auf Sozialhilfe angewiesen sind. Nach über 10 Jahren in der Schweiz sollten Ausländerinnen und Ausländer, die unverschuldet Sozialhilfe beziehen, nicht mit einer Wegweisung konfrontiert sein. Samira hat durch Überzeugungsarbeit im Rat eine solide Mehrheit für ihren Vorstoss organisiert. Ebenso gelang es Tamara Funiciello eine breite Unterstützung für ihre Motion «Krisenzentren gegen Gewalt» zu schaffen. Wird heute eine Person Opfer von häuslicher, sexualisierter oder geschlechterspezifischer Gewalt, findet sie nicht überall spezialisierte medizinische oder psychologische Unterstützung. Das soll sich nun ändern. Unsere jungen SP Frauen verstehen, sich zu vernetzen und für ihre Anliegen Mehrheiten zu schaffen.


Hallau, 1.10.2022, Martina Munz, Nationalrätin/ www.martinamunz.ch 2/2

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