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Wir können auf eine sehr erfolgreiche, erfreuliche Session zurückblicken. Die Normalität ist auch ins Bundeshaus zurückgekehrt. Zwar beschäftigen wir uns mit nie dagewesenen Milliardenbeträgen. Nach den emotionalen Corona-Demonstrationen ist der Sicherheitsschutz wieder auf ein erträgliches Mass zurückgefahren. Auf dem Bundesplatz planschen Kinder und es darf auch wieder für Anliegen demonstriert werden. Die Demokratie ist zurück.
Das beste Gesundheitswesen der Welt ist krank
Die Gesundheitskosten haben sich in den letzten 20 Jahren auf 83 Milliarden Franken verdoppelt. Die Politik brachte in den letzten Jahren keine Reform durch, zu viele Inte- ressenvertretungen sitzen auf den Ratssesseln. Gerhard Pfister, Mitte-Präsident, sprach von einem “Gesundheitskartell”, das sich in diesem Milliardenmarkt selber erhalte. Das “Perpetuum mobile der falschen Anreize” müsse gestoppt werden. Die Mitte lancierte deshalb eine Kostenbremse-Initiative, aber ohne Rezept, wie die Kostenexplosion ein- gedämmt werden soll. Eine leere Hülle. Der Nationalrat hat jetzt mit dem Gegenentwurf einen Meilenstein gesetzt. Er gibt Zielvorgaben für die Kostensteigerung vor, ein wichtiger Schritt für mehr Kostentransparenz im Gesundheitswesen.
Spare in der Zeit, … und nutze es nicht in der Not?
Die Schweiz steht bezüglich Schuldenquote sehr gut da. Kein anderes westliches Land
hat eine so tiefe Staatsverschuldung. Seit 2005 wurden Schulden von über 30 Milliarden Franken abgebaut, in der gleichen Höhe wie sie nun durch Corona wieder entstanden sind. Der Bundesrat wollte die ganze Schuldenlast in kurzer Zeit abbauen und drückte gleichzeitig die Militärausgaben in Milliardenhöhe durch. Das hätte einen enormen Spar- druck ausgelöst. Er wurde vom Parlament zurückgepfiffen. Nun sollen nur die Hälfte der Schulden in neun Jahren abgebaut werden, die andere Hälfte wird mit dem National- bankgewinn aufgerechnet. Auch das wird einen Spardruck auslösen. Zukunftsprojekte wie die Bewältigung der Klimakrise oder die Altersvorsorge werden darunter leiden. Die Corona-Pandemie wäre Notsituation genug, um das angesparte Polster zu nutzen. So mussten es auch viele Betriebe während der Pandemie machen – beim Bund obsiegt aber die Sparideologie. Die SP wird aber für eine nachhaltige Politik einstehen.
Ein Schritt zur Gleichstellung für Hörbehinderte und Gehörlose
In der Schweiz leben rund 10’000 Menschen, die von Geburt an gehörlos sind. Sie benutzen eine Gebärdensprache, doch diese findet kaum Eingang in den öffentlichen Raum. Daraus ergeben sich grosse Stolpersteine in Alltag, Beruf und Schule. Im Gegensatz zu den meisten europäischen Staaten ist die Gebärdensprache mit ihren Dialekten bei uns weder auf Ver- fassungs- noch auf Gesetzesstufe verankert. In der Schweiz gibt es drei Gebärdensprachen, für jede Landessprache eine. Es genügt also nicht, nur in eine Gebärdensprache zu überset- zen. Die SVP-Sprecherin befürchtete, dass mit der Anerkennung der Gebärdensprache eine Ungleichbehandlung von anderen beeinträchtigten Personen entstehen könnte. Um welche Ungleichbehandlungen es sich handelt, sagte sie nicht. Die abenteuerliche Argumentation der Rechten setzte sich nicht durch. Der stille Applaus – mit winken – auf der Tribüne war gross, als das Anliegen mit nur wenigen Gegenstimmen durchkam.
Was ist zu tun, wenn ein Stein geworfen wird?
Im Nationalrat wurde mit der Änderung des Embargogesetzes eine Neuorientierung der Schweizer Aussenpolitik diskutiert. Es ging um die Frage, ob die Schweiz nur im Schlepptau der UNO oder EU Sanktionen ergreifen dürfe, oder ob wir eigenständig bei schweren Verletzungen gegen das humanitäre Völkerrecht sanktionieren sollen. Fabian Molina erklärte mit einem anschaulichen Bild: «Wenn ein Kind jemandem einen Stein an den Kopf wirft, dann kann man zurückschlagen. Das ist das, was man Krieg nennt. Sie können aber das Kind mit klaren Regeln bestrafen, das sind Sanktionen. Oder Sie können nichts machen, das ist das, was die SVP will. Das führt zu einer Verluderung der Sitten.» Eigenständige Sanktionen sind natürlich mit Risiken verbunden. Der Bundesrat wehrte sich deshalb dagegen. Sogar die Mitte-Partei wählte klare Worte. «Wenn man das nicht will, fehlt der politische Wille»: Mit einer Mittelinksmehrheit wurde die Änderung des Embargogesetzes gutgeheissen.
Parlament zwingt Bundesrat zu EU-Verhandlungen
Die Folgen des Verhandlungsabbruchs mit der EU zeigen immer dramatischere Auswirkungen, insbesondere der Ausschluss aus dem EU-Forschungsprogramm Horizon. Die Vollassoziierung ist für die Schweiz als Forschungs- und Innovationsstandort existenti- ell. Forschende wandern ab und Startups suchen neue Standorte in der EU. Der Bundesrat hat die Dringlichkeit noch nicht erkannt. Der Nationalrat fordert nun mit einer Motion den Bundesrat auf, Verhandlungen mit der EU aufzunehmen. Der Inhalt der Motion entspricht der europapolitischen Strategie der SP zur Deblockierung der Beziehun- gen zur EU. Die Türen für Verhandlungen mit der EU sind keineswegs verschlossen, davon konnten wir uns mit einer SP-Delegation diesen Frühling in Brüssel überzeugen. Mit der Annahme der Motion fordert das Parlament den Bundesrat auf wieder konstruktiv mit der EU zu verhandeln und signalisiert damit Gesprächsbereitschaft. Ein wichtiger Schritt zur Normalisierung der Beziehungen.
Deckel für Krankenkassenprämien
Während fünf Stunden wurde die Belastung der Haushalte mit der Prämienentlastungsinitiative der SP debattiert. Kein Haushalt soll mehr als zehn Prozent des verfügbaren Einkommens für die Krankenkasse aufwenden. Einige Kanton haben auf Kosten der Prämienverbilligung gespart, in der Folge liegt die Belastung dort bei 20 Prozent. Das Parlament fürchtet mit der Teuerung um den Kaufkraftverlust der Bevölkerung und hat deshalb einen guten Gegenentwurf ausgearbeitet. Zwei Milliarden Franken würden für die Prämienverbilligung freigespielt, indem die Krankenkassenprämien der Ergänzungsleistungen separat finanziert würden. Auch die Kantone werden in die Pflicht genommen. Der Gegenentwurf fand eine Mehrheit – ein riesiger Erfolg für die SP. Damit kann das ungerechte System der Kopf-Prämie abgemildert und die Kaufkraft könnte rasch und zielgerichtet gestützt werden. Der Gegenentwurf muss nun die Hürde im Ständerat nehmen.
Meilenstein auf dem Weg zur fossilfreien Zukunft
Mit dem indirekten Gegenentwurf hat der Nationalrat einerseits die Zielsetzungen Netto-Null bis 2050 der Gletscherinitiative übernommen und gleichzeitig auch griffige Massnahmen zur Dekarbonisierung getroffen. Fossile und Elektroheizungen müssen rasch durch umwelt- freundliche Anlagen ersetzt werden. Einen Booster für den Ersatz von fossilen Heizungen konnte die SP erst erfolgreich einbringen, als der Krieg die Energiepreise in die Höhe trieb. Damit der ökologische Umbau beschleunigt und sozialverträglich ausgestaltet wird, sollen 200 Millionen Franken pro Jahr zusätzlich in den Heizungsersatz von Privaten fliessen. Aber auch Unternehmen werden unterstützt, und zwar mit 200 Millionen pro Jahr für Investitionen in neue Technologien zur CO2-Reduktion. Die Energiewende ist ein Jahrhundertwerk. Sie wird uns nur gelingen, wenn die Kosten gerecht verteilt werden und die ganze Bevölkerung mit an Bord geholt wird. Im Nationalrat fand die Vorlage eine komfortable Mehrheit. Nach dem abgelehnten CO2-Gesetz geht der ökologische Umbau Schritt für Schritt voran. Gleich- zeitig gelang es uns die schädliche Benzin- und Dieselsubventionierung zu verhindern.
Perlen aus dem Ständerat
Auf diesen Shitstorm auf Twitter war Hannes Germann nicht gefasst, als er twitterte: «Um ehrlich zu sein, hätte ich lieber den Titelgewinn unserer Kadetten Schaffhausen live erlebt, als im Ständerat schier endlos über das Sexualstrafrecht zu debattieren.» 210 Kommentare waren die Folge und im Tagi wurde er zum Kopf des Tages gekürt. Die SP Kanton Schaff- hausen antwortete selbstbewusst: «Kopf hoch Hannes Germann, nächstes Jahr sind Wahlen, da können amtsmüde Ständeräte frischen Kräften Platz machen!» Einige ereiferten sich über die Ignoranz gegenüber Vergewaltigungsopfern. Offenbar hat unser Schaffhauser Ständerat sein Twitterkonto dem SVP-Scharfmacher Penti Aellig anvertraut. Und noch eine Peinlichkeit hat sich Ständerat Germann in dieser Session erlaubt. “Man dürfe nicht Äpfel und Birnen vergleichen. Denn der Militärdienst sei eine Pflicht, die Mutterschaft nicht.” So begründet er als Minderheitssprecher, warum Selbständigerwerbende im Mutterschaftsurlaub beim Bezug von Leistungen, den Militärdienstleistenden nicht gleichgestellt werden sollten. Diese Aus- sage muss er wohl selbst verantworten.
Hallau, 19.6.2022, Martina Munz, Nationalrätin/ www.martinamunz.ch