Omikron und die Angst um einen erneuten Lockdown dominierten auch die Wintersession. Dabei blieben milliardenschwere Entlastungen für den Kapitalmarkt von der breiten Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet. Die Finanzbranche nimmt massiven Einfluss auf das Parlament, so auch bei der Altersreform. Die SP steht vor einem Jahr reich an Referenden.
Covid-Gesetz: von Diktatur wahrlich keine Spur!
Drei Tage nach der Covid-Abstimmung beugte sich der Nationalrat erneut über eine 58- Seiten dicke Änderungsvorlage. Zahlreiche Wirtschaftshilfen sollen bis Ende 2022 verlängert werden. Niemand soll im Stich gelassen werden. Erfolglos versuchte die SVP die Massnahmen nur bis Mitte Jahr zu verlängern, das wäre zum Nachteil vieler Kulturschaffender und Kleinbetriebe gewesen. Per Motion wollte sie auch die ‚besondere Lage‘ aufheben, sie zweifelte an den hohen Fallzahlen. In der darauffolgenden Arena-Sendung gab sich die SVP als Kämpferin für Mindestlohn und Kurzarbeit aus. Eine üble Verdrehung der Tatsachen! Ohne den vollen Einsatz von Mattea Meyer und Jacqueline Badran im Frühjahr 2020 wären viele Selbständige und Kleinunternehmen heute am Ende. Und auch jetzt sind der Partei tiefe Schuldenquoten wichtiger als das Wohl der Kleinunternehmen und Selbständigen. Nach der verlorenen Abstimmung wurde der Ton allerdings versöhnlicher und auch die Impfskepsis wurde nicht mehr öffentlich zelebriert. Über die vielen Anpassungen und Änderungen des Covid-Gesetzes kann ein drittes Mal abgestimmt werden, die Unterschriften müssten allerdings erst noch gesammelt werden.
Unsolidarische Haltung der Kantone
Zum ersten Mal durfte ich die Budgetdebatte als Mitglied der Finanzkommission hautnah miterleben. Dieses und letztes Jahr hat der Bund Covid bedingt, je rund 17 Milliarden Defizit gemacht. Auch für das Jahr 2022 sind die Aussichten trüb. Die Kosten für die wirtschaftlichen Massnahmen zur Abfederung der Pandemie und auch die Gesundheitskosten gehen in die Milliarden. Trotzdem herrschte in der Finanzkommission mehrheitlich Konsens, dass Sparprogramme kontraproduktiv wären; sie würden die wirtschaftliche Erholung unseres Landes behindern. Dank den Hilfspaketen nahm die Wirtschaft noch keinen grösseren Schaden. Im Vergleich mit den europäischen Ländern ist unsere Schuldenquote noch immer sehr tief. Während der Bund tiefrote Zahlen schreibt, geht es den Kantonen finanziell sehr gut. Sie schreiben schwarze Zahlen. Trotzdem forderten die Kantone die Übernahme der Ertragsausfälle im Gesundheitsbereich wegen des Behandlungsstopps mit dem Argument: Wer Massnahmen anordnet, muss auch dafür bezahlen! Auch der Kanton Schaffhausen forderte vom Bund mehr Geld, gleichzeitig senkte er die Kantonssteuern um acht Prozentpunkte. Jedem ist die eigene Haut am nächsten, das gilt offensichtlich auf für die Kantone!
ÖV-Tageskarten für Schulklassen
Als Berufsschullehrerin scheiterte ich oft an den hohen Reisekosten des ÖV. Mit meinen Klassen konnte ich nie nach Bern ins Bundeshaus, weil die Lernenden nicht bereit waren 50 Franken ihres Lehrlingslohns für das Zugticket zu zahlen. Nach einem Gerichtsentscheid 2017 dürfen den Eltern maximal 16 Franken pro Tag für Schullager und Ausflüge verrechnet werden. Die Reisebudgets belasten die Schulen stark und verhindern den wertvollen Unterricht ausserhalb des Schulzimmers. Zusammen mit drei Ratsmitgliedern unterschiedlicher Parteien, ist es mir gelungen, eine gleichlautende parlamentarische Initiative einzureichen, um günstige Tageskarten für Schulklassen einzuführen. Die Gesetzesänderung wurde im Nationalrat angenommen. Swisspass bietet nun bereits ab dem 1. Januar 2022 eine 15- Franken-Tageskarte an. Das Angebot ist ohne Unterstützung des Bundes möglich. Das Ziel ist aber eine 5-Franken-Tageskarte, damit Schulen vermehrt auch Ausstellungen und Museen besuchen können. Dem Bund würde das ungefähr 20 Millionen Franken pro Jahr kosten. Die Bildung unserer Kinder sollte uns das wert sein. Ich bleibe dran.
Grenzenloses Pokerspiel in der Altersvorsorge
Selten haben sich die Lobbyisten so schamlos durchgesetzt wie bei der Reform der Berufsvorsorge (BVG). Die Sozialpartner hatten einen Kompromiss erarbeitet, doch die Versiche- rungen und Banken haben die Bürgerlichen fest im Griff. Nun dient die Reform einzig der Finanzbranche. Sogar der Präsident der Arbeitgeber zeigte sich am Fernsehen konsterniert: «Ohne die Zustimmung der Sozialpartner wird keine Reform gelingen». Der Ständerat hat es jetzt in der Hand. Ohne seine Korrektur ist auch diese BVG-Altersreform so gut wie gestorben. Unbestritten ist, der Umwandlungssatz muss gesenkt werden. Doch der Renten- verlust für Geringverdienende, insbesondere für Frauen, muss abgefedert werden. Die Vor- lage sieht jetzt tiefere Renten für alle vor. Das wird das Geschäft mit der dritten Säule anheizen, zur Freude der Finanzbranche. Bereits heute verdient sie über fünf Milliarden Franken mit der Verwaltung unserer Renten. Die Stimmbevölkerung wird es richten müssen.
Auch der vierte Versuch das Rentenalter in der AHV zu erhöhen, ist entgleist. Rentenver- luste, ohne ausreichende Kompensationsmassnahmen, sind inakzeptabel. Die Unterschriften für das Referendum werden schnell gesammelt sein.
Gentechnik: Nationalrat als Chambre de Réflexion
Der Ständerat will das Gentech-Moratorium lockern und das Genom-Editing erlauben. Damit schaffte er viel Rechtsunsicherheit. Ungeklärt sind Fragen wie in der kleinräumigen Schweiz eine gentechfreie Landwirtschaft garantiert werden kann. Bienen, Insekten und auch Pollen fliegen kilometerweit und können Wild- und Nutzpflanzen bestäuben. Unbeabsichtigte Folgen und Risiken sind ungeklärt. Hinter der Technologie stehen Konzerne wie Syngenta, die mit patentiertem Saatgut viel Geld verdienen. Die Wissenschaft ist dabei ihr Steigbügelhalter und suggeriert, dass Genom-Editing unproblematisch sei und nicht reguliert werden müsse. Doch wo Gentechnik drinsteckt, muss Gentechnik draufstehen! So sieht es auch der euro- päische Gerichtshof. Auch Konsumentinnen und Konsumenten wollen keine Gentechnik auf dem Teller. Die Schweizer Landwirtschaft setzt noch immer auf eine Qualitätsstrategie ohne Gentechnik. Für einmal setze ich Hoffnung in die starke Agrarlobby im Nationalrat. Sie wird hoffentlich in der Frühlingssession den Entscheid des Ständerates kehren und das Moratorium ungeschmälert verlängern.
Finanzbranche bestellt Gesetze zur Steuerhinterziehung
Hinter dem Titel «Stärkung des Fremdkapitalmarktes» versteckt sich die Schleifung der Ver- rechnungssteuer, eine bestellte Vorlage von Grosskonzernen und Banken. Die Verrechnungssteuer schützt den Staat vor Steuerhinterziehung. Jetzt soll sie abgeschafft werden, ausser für inländische natürliche Personen. Wir alle müssen also weiterhin auf dem Spar- konto Verrechnungssteuer zahlen, während Konzerne und ausländische Investoren davon befreit werden. Eine ungeheuerliche Einladung zur Steuerhinterziehung. Der Verlust in der Staatskasse beträgt mehrere hundert Millionen Franken. Damit nicht genug, weitere Steuerschlupflöcher wurden in die Vorlage eingebaut. Die SP wird gegen die Teilabschaffung der Verrechnungssteuer das Referendum ergreifen. Die Finanzbranche hat ein weiteres Gesetz bestellt. Das kryptische Investmentprodukt L-QIF soll an der Finanzmarktaufsicht vorbeige- schleust werden. Damit wird der Druck auf unsere Immobilien noch grösser und Eigentum für normale Portemonnaies noch unerschwinglicher. Jahr für Jahr werden dem Kapitalmarkt Steuererleichterungen in Milliardenhöhe gewährt. Das nenne ich Salamitaktik.
Nachspiel für politisches Engagement
Gemeinnützigen Organisationen und NGO droht der Entzug der Steuerbefreiung, wenn sie politisch aktiv sind. Dies verlangte eine Motion von FDP Ständerat Noser, die in der keinen Kammer eine Mehrheit fand. Auslöser war das Engagement der Kirchen und NGO bei der Konzernverantwortungs-Initiative und das Engagement der Umweltorganisationen beim Jagdgesetz ärgerte den Motionär. Er argumentierte: «Die NGO sollen ihre Meinung sagen, auch die Kirche, alle sollen ihre Meinung sagen, ich habe nichts dagegen – aber bitte nicht mit Millionenbeträgen.» Er rief sogar öffentlich auf, Umweltorganisationen nichts mehr zu spenden! Welche Rolle Economiesuisse & Co. mit ihren Millionenbudgets bei Abstimmungen spielen, liess Noser unerwähnt. Erfreulicherweise zeigt der Nationalrat, dass diese Motion nicht unserem Demokratieverständnis entspricht und hat sie mit 84 : 98 Stimmen versenkt.
Hallau, 18.12.2021, Martina Munz, Nationalrätin/ www.martinamunz.ch 2/2