Pulverdampf im Bundeshaus: Diktaturvorwürfe, Maulkorbforderung für die wissenschaftliche Taskforce und das Ende der Pandemie per Gesetz beschliessen: Die SVP manövrierte sich zunehmend ins Abseits. Gesiegt haben die konstruktiven Kräfte.
17 Milliarden in einer Nacht
Der Nationalrat hat in einer Marathondebatte bis nach Mitternacht über 54 Kommissionsanträge und 25 Einzelanträge zum Covidgesetz beraten. Die SVP war mit ihrer Haltung weitgehend isoliert. Mit absurden Anträgen wollte die Partei die Pandemie mit einem fixen Öffnungsdatum im Gesetz wegzaubern und der Wissenschaft einen Maulkorb verpassen. Sie war chancenlos. Die SP hingegen siegte mit vielen Anträgen und wurde dabei von Wirtschaftsverbänden und Branchenorganisationen unterstützt. So konnten wir Mehrheiten schaffen. Seit Beginn der Krise verfolgt die SP das Ziel, Konkurse zu verhindern, Existenzen zu sichern und Arbeitsplätze zu erhalten. Im Kulturbereich wird durch unsere Anträge umfassende Unterstützung vieler Freischaffender ermöglicht. Die Veranstaltungs- und Reisebranche soll zudem eine Absicherung für die Planung von Veranstaltungen und Reisen erhalten, damit diese Branche wieder Fahrt aufnehmen kann. Bürgerliche versuchten über die Hintertüre des Covid-Gesetzes Sonntagsverkäufe einzuführen. Dies konnte vereitelt werden. Leider wurde die Schwelle für Härtefallunterstützung durch den Ständerat wieder gesenkt und auch bei der Vereinheitlichung für die Finanzhilfen in den Kantonen sind wir nicht durchgedrungen. Gerade im Kanton Schaffhausen hätten einige Betriebe davon profitiert. Denn unser Kanton ist eher knausrig und fordert, dass Reserven weitgehende aufgezehrt werden müssen. Für die Zukunft dieser Betreibe keine vorausschauende Politik.
Die Bauernlobby marschiert immer durch!
Der Zahlungsrahmen für die Landwirtschaft wird jeweils für vier Jahre festgelegt, ein Betrag von fast 14 Milliarden Franken! Mit dem nächsten Zahlungsrahmen sollte die Agrarpolitik AP22+ ökologischer, sozialer und besser auf den Markt ausgerichtet werden. Höhere Auflagen für Direktzahlungen, bessere soziale Absicherung der Bäuerinnen und einen Absenkpfad für Nährstoffe und Pestizide sowie mehr Tierwohl hätten eine glaubwürdige Antwort auf die anstehenden Herausforderungen sein können. Doch die Agrarpolitik wurde mit 100:95 Stimmen sistiert. Die Reformen werden um mindestens vier Jahre aufgeschoben. Der Zahlungsrahmen wurde aber nicht gekürzt, sondern um 143 Millionen Franken erhöht. Ausserdem wurde die Verkehrsmilchzulage um 30 Millionen Franken angehoben, begründet mit nicht ausbezahlten Zuckerrübenbeiträgen. Die Argumentation könnte abenteuerlicher nicht sein! Die Landwirtschaft zählt zu den erfolgreichsten Lobbygruppen in Bern. Mit Bauernpräsident Ritter in der CVP, Verbündeten wie Bourgeois und Noser in der FDP und der geschlossenen SVP ist ihnen jeder Sieg gewiss. Die Umwelt zahlt den Preis.
Machtpoker der Giganten: Hickhack um Mediengesetz
Eine vielfältiger und regionaler Qualitätsjournalismus ist die Voraussetzung für eine gut funktionierende Demokratie. In der Medienlandschaft ist ein brutaler Strukturwandel im Gang, die Medienvielfalt ist gefährdet. Der Bund stockt nun die Medienförderung von 30 auf 120 Millionen Franken auf. Die acht grossen Medienhäuser versuchten knallhart, ihre eigenen Interessen durchzuboxen. Sie profitieren von der zusätzlichen Förderung der Sonntags- und Frühzustellung. Von der Online-Förderung wollten sie nichts wissen. Für die Demokratie sind einheimische Online-Medien aber wichtig. Ohne Unterstützung haben sie gegenüber den Konzernen keine Chance. Die kleinen Verlage konnten sich erst durch die Abspaltung von den grossen Medienhäusern Gehör verschaffen. Mit dem degressivem Zahlmodell wurde ein sinnvoller Mechanismus gefunden, damit kleine und unabhängige Verlage stärker profitieren. Leider gelang es mit Hilfe der Mitte, der SRG einen weiteren Stachel ins Fleisch zu treiben und sie zu schwächen. Die SRG muss ihr Online-Angebot weiter beschränken. Ein interessantes Instrument wurde leider sehr knapp verworfen. Um dem jungen Publikum Qualitäsmedien schmackhaft zu machen, wären Mediengutscheine für junge Erwachsenen eingeführt worden. Schade, das Experiment hätte sich gelohnt!
Endlich kommt Licht ins Dunkel der Politikfinanzierung
Die Schweiz ist das einzige Land Europas, das die Finanzierung von Parteien nicht regelt. Oft kann nur spekuliert werden, wer hinter einer Kampagne steckt und wie stark der finanzielle Einfluss von Lobbys und Einzelpersonen ist. Der Gegenvorschlag zur Transparenzinitiative wurde letztes Jahr noch vom Nationalrat versenkt und auch der Bundesrat lehnte die Offenlegungspflicht ursprünglich ab. Doch Karin Keller-Sutter musste zugestehen, dass in der Bevölkerung ein Mentalitätswandel stattgefunden hat. Schaffhausen hat mit der Annahme der Transparenzinitiative der JUSO dazu einen wesentlichen Beitrag geleistet. Die FDP bot Hand und stellte Antrag, die Schwelle für die Offenlegung bei 15’000 Franken anzusetzen. Damit war der Kompromiss geschmiedet. Der Nationalrat strich kurzerhand das Privileg des Ständerates, dass seine Mitglieder ihr Wahlkampfbudget nicht offenlegen müssen. Gegen die Offenlegung wehrte sich die SVP: «Sie tragen das Milizsystem zu Grabe». Und auch die Mitte wollte keine Offenlegung, das schade der Demokratie. Tatsächlich ist der Mehraufwand klein und der Nutzen für die Demokratie gross. Unser Politsystem basiert auf Vertrauen, das ist nur mit Transparenz gegeben. Der Ball liegt nun beim Ständerat.
Zähes Ringen um Ökologie
Eine Million Menschen in der Schweiz trinken Wasser, das die Grenzwerte überschreitet. Die Trinkwasserversorger schlagen Alarm. Der hohe Gehalt an Schadstoffen ist auch verantwortlich für den Verlust der Biodiversität. Die Politik muss handeln. Doch das Parlament schafft es nicht, den Bauern einen verbindlichen Absenkpfad für Pestizid und Stickstoff vorzugeben. Der Bevölkerung bleibt einzig der Weg über die Initiativen. Diese zwingen nun die Landwirtschaft zu Kompromissen. Das Parlament, unter der Federführung von Ständerat Zanetti (SP), hat einen inoffiziellen Gegenvorschlag zur Trinkwasser- und Pestizidverbotsinitiative erarbeitet. Dieser gibt vor, dass im Grundwasser kein Wirkstoff in höherer Konzentration vorkommen soll als 0.1 Mikrogramm. Das fand Zustimmung: Für einmal gewichtete das Parlament sauberes Trinkwasser höher als die Interessen der Landwirtschaft. Weitere Massnahmen beim Zuströmbereich der Trinkwasserfassungen und bei den Stickstoffüberschüssen hat der Ständerat aber aus dem Gesetz gekippt.
Pflegenotstand: Spatz in der Hand oder Taube auf dem Dach?
Gerade in der Coronakrise wird uns bewusst, wie wichtig das Pflegepersonal ist. Bis ins Jahr 2030 werden rund 65’000 Pflegende fehlen. Es braucht eine Ausbildungs- und Weiterbildungsoffensive, das ist auch der Kern des Gegenvorschlags zur Pflegeinitiative. Die Kantone werden nun verpflichtet, angehenden Pflegefachkräften Beiträge an die Lebenshaltungskosten zu leisten. Für Spitäler, Pflegeheime und Spitexorganisationen gilt neu auch eine Ausbildungsverpflichtung. Der Ständerat wollte diese Verpflichtung abschwächen, unterlag damit aber in der Einigungskonferenz. Gestritten wurde auch, ob künftig Pflegende eigenständig abrechnen dürfen. Diese berufliche Kompetenz wurde ihnen zugestanden, wenn auch mit Einschränkungen. Damit nimmt das Parlament im indirekten Gegenvorschlag nur zwei von vier wichtigen Anliegen der Pflegeinitiative auf. Werden der Personalschlüssel und die Arbeitsbedingungen aber nicht verbessert, ist die Wirkung der Ausbildungsoffensive fraglich. Ein Rückzug der Initiative würde die Umsetzung der beschlossenen Massnahme jedoch beschleunigen. Die Lage ist verzwickt.
Stopp dem missbräuchlichen Schweiz-Zuschlag
Noch selten wurde eine Initiative im indirekten Gegenvorschlag fast vollständig umgesetzt, wie bei der Fair-Preis-Initiative. Kernstück des Gegenvorschlages ist die Ergänzung des Kartellgesetzes. Die Praxis ist weit verbreitet: Lieferanten im Ausland verkaufen den Schweizer Unternehmen nichts und verweisen auf den Schweizer Generalimporteur, der nur zu überhöhten Preisen verkauft. Damit ist nun Schluss. Auch das Geoblocking wird nach zähem Ringen im Parlament verboten. Schweizer Kundinnen müssen von ausländischen Online-Shops künftig gleichbehandelt werden wie einheimische Kunden. Die höhere Kaufkraft der Schweiz darf nicht durch überteuerte Preise abgeschöpft werden. 2015 hat Schaffhausen die Standesinitiative „Bekämpfung der Hochpreisinsel Schweiz“ eingereicht, leider ohne Erfolg. Heute kann sich unser Grenzkanton über die Umsetzung freuen.