Hallau, 20.6.2020, Martina Munz, Nationalrätin/ www.martinamunz.ch
Definitiv, der Nationalrat hat sich gewandelt! Er ist grüner und gesellschaftspolitisch aufge-schlossener. Noch nie bin ich von der Session heimgekehrt und durfte sagen: bei den meisten wichtigen Geschäften haben wir gewonnen!
Gleichstellung ohne Einschränkung
Mit der «Ehe für alle» ist ein gesellschaftspolitischer Meilenstein geschafft. Die Vorlage liess lange auf sich warten und scheint, schon etwas aus der Zeit gefallen zu sein. Ausser in Italien sind in allen umliegenden Ländern gleichgeschlechtlicher Paare als Eheleute anerkannt. Positiv überrascht waren wir, als sich der Rat sogar für den Zugang zur Samenspende von lesbischen Paaren aussprach. Damit werden beide Partnerinnen schon bei der Geburt als Elternteil anerkannt. Das gibt mehr Sicherheit für die Kinder. Konservative und religiöse Kreise wollten am traditionellen Ehebegriff festhalten und den Zugang zur Fortpflanzungs-medizin verhindern. «Wo bleibt das Wohl der Kinder, die ein Recht auf Mutter und Vater haben?» Tatsache ist, dass heute schon rund 30’000 Kinder in Regenbogenfamilien auf-wachsen. Gerade diese Kinder werden durch die vollständige Gleichstellung rechtlich bessere abgesichert. Die «Ehe für alle» wird auch im Ständerat eine Mehrheit finden. Im konserva-tiveren Gremium wird aber die Samenspende wohl keine Chance haben.
Überbrückungsleistung statt Altersarmut
Noch rechtzeitig vor dem zu erwartenden Beschäftigungseinbruch und vor der Abstimmung zur Kündigungsinitiative hat das Parlament die Überbrückungsrente beschlossen. Heute sind über 60igjährige, die keinen Job mehr finden und ausgesteuert werden, auf Sozialhilfe an-gewiesen und müssen frühzeitig ihr Alterskapital aufbrauchen. Das ist unwürdig für Leute, die ihr Leben lang gearbeitet haben und treibt sie in die Altersarmut. Der Kanton Waadt hat mit der Überbrückungsrente gute Erfahrungen gemacht. Sie ist eine wichtige Ergänzung unserer Sozialversicherungen. «Die Leute wollen arbeiten und keine Rente», wetterte Rösti und sprach von einer Entlassungsrente. Es war aber offensichtlich, dass seine Partei die Altersarbeitslosigkeit als wichtigste Argumente ihrer Kündigungsinitiative, über die am 27. September 2020 abgestimmt wird, davon schwimmen sah.
Referendumsdruck: Zivildienstschikane versenkt
Der Armee gehen die Soldaten aus. Statt die Armee zu reformieren, wird am Zivildienst geschraubt. Der Militärdienst wird aber nicht attraktiver, wenn die Bedingungen für den Zivildienst verschlechtert werden. Der Wechsel vom Militär- zum Zivildienst sollt mit einem Wartejahr und einer Mindestdauer von 150 Tagen erschwert werden. Alle strittigen Punkte gingen knapp durch. Eine verfehlte Gesetzesänderung! Doch während der Covid-Pandemie hat der Zivildienst an Bedeutung gewonnen, das führte bei der CVP zum Umdenken. Bei der Schlussabstimmung haben sie die Vorlage abgelehnt, damit ist sie vom Tisch. Uns bleibt eine Volksabstimmung erspart, das Referendumskomitee war bereits in den Startlöchern.
Konzerne von Gegenvorschlag hoch erfreut
Taktiererei und politischen Manöver prägten die jahrelangen Beratungen zur Konzernver-antwortungsinitiative KoVI. Der Nationalrat hat dem griffigen Gegenvorschlag drei Mal zugestimmt. Firmen müssten für Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden, die sie im Ausland begehen, haften. Der Ständerat zauberte jedoch plötzlich mit Unterstützung von Bundesrätin Keller-Sutter einen konzernfreundlichen Gegenvorschlag aus dem Hut. Econo-miesuisse und Swissholdings, der mächtige Verband der multinationalen Unternehmen, waren hocherfreut. Statt einer Haftung wird lediglich ein Bericht verlangt, statt Verantwortung mehr Hochglanzpapier! Selbst Bürgerliche sind empört. Nun kommt die KoVI im nächsten November an die Urne, zusammen mit diesem Alibi-Gegenvorschlag. Die Initiative ist in der Bevölkerung beliebt, unschwer erkennbar an den vielen orangenen Fahnen. Der Abstim-mungskampf ist wichtig für die globale Gerechtigkeit, die Augen der Welt werden auf die Schweiz gerichtet sein. Die Konzerne fürchten die KoVI und werden alles geben! Wir auch!
Klimastreik hinterlässt Spuren
Das fossile Zeitalter geht zu Ende. Je schneller die Schweiz den Umstieg auf die erneuerbare Energie schafft, desto besser wird sie in Zukunft dastehen. Noch vor eineinhalb Jahren liess der Nationalrat das CO2-Gesetz abstürzen. Unter dem Druck der Klimastreikenden zimmerte der Ständerat eine griffige Vorlage, die dank dem Gesinnungswandel der FDP auch im Nati-onalrat eine Mehrheit fand. Das neue CO2-Gesetz ist ein Meilenstein in der Klimapolitik. Erstmals muss auch die Mobilität einen Beitrag zum Klima leisten mit der Flugticketabgabe und den verschärften Vorschriften für Neuwagen, die bald nur noch mit Elektrofahrzeugen zu erfüllen sind. Auch für den Ersatz von Ölheizungen gilt bald ein faktisches Verbot. Die SVP holte zum verbalen Zweihänder aus. Das Gesetz strotze nur so von Sozialismus und Plünderung der armen Leute. «Büezer» könnten sich Auslandferien einmal pro Jahr nicht mehr leisten! Dass ist aber nachweislich falsch, untere Einkommen profitieren vom neuen CO2-Gesetz. Die Hälfte der Flugticketabgabe wird an die Bevölkerung zurückverteilt, ausser den Vielfliegern profitieren alle davon. Die SVP blieb in ihrem Kampf gegen das Gesetz isoliert. Ihre Polemik gab einen Vorgeschmack auf den Abstimmungskampf. Denn das letzte Wort wird wohl das Volk haben, das Referendum werden sie sicher ergriffen. Erstaunlich, vier SVP-Landwirte getrauten sich von der Parteilinie abzuweichen. Das Gesetz geht aber erst noch zurück in den Ständerat.
Wenn schon, denn schon: gekifft wird mit einheimischem Bio-Hanf
Ob ihm die Volksgesundheit nicht wichtig sei, wurde Bundesrat Berset gefragt. Rechtsbürgerliche und christliche Kreise wollten den Experimentierartikel verhindern, der Pilotversu-che mit Cannabis ermöglicht. Die Schweiz tut sich schwer mit der Legalisierung von Canna-bis. Dabei war sie in den 80iger Jahren so pionierhaft in der Drogenpolitik. Heute kiffen rund eine Viertel Millionen Menschen regelmässig, davor können wir die Augen nicht verschliessen. Zudem leistet Hanf gute Dienst bei der Schmerzbehandlung in der Medizin. Durch eine Meldepflicht an Arbeitgeber und Schulen wurde versucht die Teilnahme am Versuch prak-tisch zu verunmöglichen. Schlussendlich setzte sich der Cannabis-Pilotversuch ohne Schi-kane durch. Teilnehmen darf nur, wer bereits Cannabis konsumiert. Die Abgabe ist übrigens nicht gratis, wie das von den Gegnern gerne behauptet wird. Dafür wird im Versuch nur Bio-Hanf in bester Schweizer Qualität abgegeben. Wenn schon legal gekifft wird, dann soll auch die Landwirtschaft profitieren.
Unterstützung für Kleinstbetriebe und Selbständige kommt von links
Rasch und unbürokratisch hat der Bundesrat Kleinstbetriebe und Selbständigen mit exis-tenzsichernden Beiträgen aus der ALV und EO unterstützt. «Wir lassen euch nicht im Stich», hiess es, der Erwerbsausfall sollte bis Mitte September gelten. Offenbar kam der Bundesrat unter Druck von der rechten Ratsseite: «Die Schulden von heute, sind die Steuern von mor-gen». Überraschend wurde die Hilfe auf Ende Mai für beendet erklärt. Damit wurden Zehn-tausenden von Selbständigen in Existenznöte gestürzt. Die SP verlangte eine dringliche Beratung zur Verlängerung der Unterstützung. Diese wurde verweigert. Ein Trauerspiel! Und für die Betroffenen ein Drama. Eine Entscheidung im Herbst kommt für viele Betroffene zu spät. Die Folgen werden teuer sein: Konkurse, Arbeitslosigkeit und Sozialhilfe. Kleinstbe-triebe haben keine Lobby, sie wurden von Bürgerlichen im Regen stehen gelassen. SP und Grüne verlangen deshalb noch vor der Sommerpause eine dringliche Sondersession, damit Selbständige rasch Gewissheit erhalten.
Solidarität von Immobilienbranche eingefordert
Mehr Erfolg hatten wir mit der Reduktion der Geschäftsmieten. Gastrobetriebe und kleinere Geschäfte, die während dem Lockdown die Ladentüren schiessen mussten, schulden nur 40 Prozent der Miete. Damit können ihre Fixkosten für die Zeit ohne Umsatz entscheidend re-duziert werden. Die Immobilienbranche erlitt durch die Coronakrise keine Ausfälle, sie wurde jetzt durch das Parlament zur Solidarität verpflichtet. Die Bürgerlichen wollten auf Verhandlungen und individuellen Lösungen setzen. Diese fruchten aber selten, denn die Immobili-enbranche sitzt am längeren Hebel. Auch in diesem Geschäft standen die Mächtigen, in die-sem Fall die Immobilienbranche, vielen Ratsmitgliedern näher als die so hochgelobten KMU. Die 40-Prozent-Lösung kam knapp durch. Davon profitieren schliesslich auch die Immobilienbesitzer, denn gehen die Betriebe Konkurs, würden die Lokale lange leer stehen.
Hallau, 20.6.2020, Martina Munz, Nationalrätin/ www.martinamunz.ch