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Das Parlament hat mit seiner kompromisslosen Haltung seinen Kompass verloren. Es wird an der Bevölkerung sein, die nötigen Korrekturen vorzunehmen. In dieser Session wurden zur «Konzernverantwortungs-initiative» und zum «Waffenexport in Bürgerkriegsländer» Abstimmungen provoziert, die vermeidbar gewesen wären. Wir wunderten uns auch über die Spitzkehren gewisser Parteien. Das wohl, weil der Wahlkampf vor der Tür steht.
Grünes Mäntelchen im Faktencheck
Schon am zweiten Tag der Frühlingssession stand die wundersame FDP-Kehrtwende bezüglich Klimaschutz auf dem Prüfstand. Bei acht klimarelevanten Vorstössen hätte die liberale Partei ihren Richtungswechsel unter Beweis stellen können. Alle acht Vorstösse wurden von der FDP abgelehnt, was nicht weiter erstaunt. Selbst die Präsidentin stand nicht hinter ihrem erst drei Tage alten Versprechen. Dafür bedauerte die FDP lautstark, dass der Auftrag für einen Bericht zur Flugticketabgabe zurückgezogen wurde. Gerne hätte sie diesem Vorstoss zugestimmt. Dumm nur, dass seit der Einreichung dieses Postulates, alle Fakten auf dem Tisch liegen und der Vorstoss nur eine Verzögerung bewirkt hätte. Für ein grünes Mäntelchen hätte die FDP sogar einem Bürokratieleerlauf zugstimmt.
Kostenverschiebungen sind keine Sparmassnahmen
Die Mindestfranchise sollte von 300 auf 350 Franken erhöht werden und dann automatisch alle drei bis vier Jahre um weitere 50 Franken steigen. In dieser Erhöhung sehen die Bürgerlichen eine Sparmassnahme, dabei handelt es sich lediglich um eine Kostenverschiebung. Die Versicherten müssen einen höheren Anteil der Gesundheitskosten selber tragen. Das ist unsozial. Es trifft chronisch Kranke und die ältere Bevölkerung besonders hart. Seit Einführung des KVG sind die Krankenkassenprämien und Franchisen im Gegensatz zu den Löhnen und Altersrenten massiv angestiegen. Schon heute geht über ein Fünftel der Leute nicht zum Arzt, weil sie Angst vor den zusätzlichen Kosten haben. Das kann zu Komplikationen und schlussendlich zu höheren Kosten führen. Die SP kämpft dafür, dass die Gesundheitskosten bezahlbar bleiben und hat mit dem Referendum gedroht, sollte die Erhöhung der Franchisen durchkommen. Sie hat zudem die Prämien-Entlastungs-Initiative lanciert, damit die Krankenkassenprämien 10 Prozent des Haushalteinkommens nicht übersteigen. Das hatte wohl Signalwirkung: Die SVP hat nach der Beratung des Geschäfts plötzlich ihre Meinung um 180 Grad gekehrt und in der Schlussabstimmung mehrheitlich Nein gestimmt.
Entlarvende Politik
Noch im Herbst wäre sogar die Erhöhung der Franchise auf 500 Franken mehrheitsfähig gewesen. Der Antrag wurde von Krankenkassen eingebracht und sollte in dieser Session durchgewinkt werden. SVP-Fraktionschef Thomas Äschi war einer der Fürsprecher dieses Manövers. Doch eine Erhöhung der Franchise um 200 Franken im Wahljahr ist keine gute Botschaft. Mit einem bühnenreifen Auftritt versuchten die Kommissionssprecher Clottu und Pezzatti den Spagat zwischen Lobbyismus und Bürgernähe. Beide sitzen im Beirat der Groupe Mutuel. Ein Job der für zwei bis drei Sitzungen pro Jahr mit 10‘000 Franken entschädigt wird. Unverfroren stellte Clottu den Antrag das Geschäft bis nach den Wahlen zu verschieben. Fragen zu Transparenz, Offenlegung von Mandaten und Lobbyismus folgten. In der Gesundheitskommission sitzen viele gut bezahlte Interessensvertreter, denen das eigene Portemonnaie näher ist als das Wohl der Bevölkerung. Der SVP wurde es schliesslich zu brenzlig, sie krebste zurück. Lobbyismus bleibt jedoch ein Thema. Der Bericht von Transparency International dokumentiert, dass in der Schweiz grosser Handlungsbedarf besteht: Die Mitglieder der Gesundheitskommission vereinen total 90 Mandate der Gesundheitsbranche auf sich. Wollen wir die Kosten im Gesundheitsbereich in den Griff bekommen, dann braucht es neue Spielregeln im Parlament.
Kampf für eine gesunde Umwelt und gegen Plastikverschmutzung
Während die Klimajugend vor dem Bundeshaus demonstrierte, stimmte das Parlament meinem Vorstoss «Aktionsplan Plastikeinträge in die Umwelt» zu. Jährlich werden in der Schweiz eine Million Tonnen Kunststoffe verbraucht. Das sind umgerechnet 125 kg pro Kopf. Eine Riesenmenge, Tendenz steigend. Diese Plastikmaterialien gelangen in immer grösserem Ausmass in die Umwelt. Pneuabrieb gelangt als Feinstaub in die Luft, Mikroplastik von Kosmetika verschmutzen die Gewässer und Landwirtschaftsfolien belasten die Böden. Bis heute ist es aber noch nicht gelungen die verschiedenen Quellen und die dadurch verursachten Belastungen einzuschätzen. Kunstrasen zum Beispiel, verursacht eine enorme Umweltbelastung deren Folgen für Umwelt, Tier und Mensch bis heute kaum erforscht sind. Das Problem Plastik und Mikroplastik muss zum Schutz von Umwelt und Gesundheit rasch möglichst angegangen werden.
Einsame «Surprise»-Verkäufer
Am Rande der Parlamentssitzungen wird viel lobbyiert. Statt ins Bellevue Palace wurden wir für einmal in den alkoholfreien Treffpunkt Azzurro eingeladen. «Surprise»-Verkäufer gaben uns Einblick in ihr Leben und zeigten uns Orte, wo in der reichen Schweiz Obdachlose und Randständige leben.Mit dem Strassenmagazin «Surprise» können sich die Ausgesteuerten ein kleines Zubrot verdienen. Anschaulich erzählten die Verkäufer wie sie durch Schicksalsschläge in die Armut abrutschten und wie damit auch ihre sozialen Kontakte verloren gingen. «Jeder Franken wird nicht nur zweimal umgedreht. Armut macht einsam. Mit jemanden einen Kaffee trinken zu gehen, liegt kaum mehr drin.» Das machte betroffen, denn am gleichen Tag hat die Mehrheit im Nationalrat die Kinderrenten von IV-Bezügern gekürzt. Leider hat an diesem eindrücklichen Mittag nur ein einziger Bürgerlicher teilgenommen. Nach diesem Stadtrundgang wird kaum einer mehr achtlos an einer «Surprise»-Verkäuferin vorbei gehen.
Und wieder wird bei der IV gekürzt!
Die IV soll zur Eingliederungsversicherung werden. Die laufende IV-Revision ist seit vielen Jahren die erste Revision, die echte Verbesserungen bringt. Die Eingliederung von Jugendlichen und psychisch Kranken soll durch Früherfassung gefördert werden. Bereits ab dem 13. Altersjahr werden Jugendliche begleitet, wenn der Eintritt ins Berufsleben gefährdet ist. Diese Früherfassung ist eine hilfreiche und sinnvolle Massnahme. Leider will das Parlament aber auch bei dieser IV-Revision sparen und zwar auf dem Buckel von Kindern. IV-Rentnerinnen und Rentner mit Kindern, wird das Kindergeld um einen Viertel gekürzt. Selbst die Familienpartei CVP unterstützte diesen Sparantrag. Auch dieser sogenannte Sparantrag führt vor allem zu einer Kostenverlagerung. Bereits die Hälfte der IV-Beziehenden hat heute schon Anrecht auf Ergänzungsleistungen. Durch die Kürzung der Kinderrenten wird zwar die IV entlastet, dafür werden die Kantone über die Ergänzungsleistungen mehr belastet.
Es kann nicht genug kosten: der Nationalrat im Nationalstrassenrausch
Die Debatte um die Nationalstrassen endete chaotisch. Simonetta Sommaruga kritisierte den Hüftschuss und warnte das Parlament: «Sie bewilligen Ausbauprojekte, die es gar noch nicht gibt.» Normalerweise beurteilt das Astra alle Projekte, macht Kosten-Nutzen- und Wirksamkeitsanalysen. In einem zweiten Schritt erfolgt dann die Priorisierung nach einem langen Kriterienkatalog. Doch das Astra hat die Autobahnprojekte noch gar nicht beurteilt. Der Kredit von 4.6 Milliarden wurde ungefähr verdoppelt. Unter dem Motto «Hilfst du mir, so helfe ich dir» wurde das Geld konzeptlos in Beton gegossen. Die Auswirkungen auf die Verkehrspolitik und Landschaft wurden ausgeblendet. Der Bypass in Luzern zum Beispiel hätte einen Ausbau auf 10 Spuren zur Folge. Für die Planung und Überwachung müsste dem Bund mehr Personal zur Verfügung gestellt werden. Doch davon wollte das Parlament nichts wissen. Der Personalbestand bleibt auf dem Stand von 2015 eingefroren, auch wenn neue Aufgaben dazu kommen. Welche Diskrepanz zur Budgetdebatte, als uns bei kleinen Beträgen gerne der Vorwurf gemacht wurde, man müsse den Franken erst verdienen, bevor man ihn ausgebe! Das gilt offenbar bei den Strassen nicht.