Sommersession 2018 des Nationalrats

Martina Munz, Nationalrätin: Sommersession 2018 des Nationalrats –

Martina Munz, Nationalrätin, Hallau

Wenn Kinder kreischend durch Wasserfontänen springen und Badetüchlein auf dem Bundesplatz liegen,
dann hat auch in Bern der Sommer Einzug gehalten. Ich freue mich jeden Tag über das fröhliche Treiben vor dem Bundeshaus. Was haben wir für ein Privileg! Statt schwer bewaffnetes Wachpersonal, begrüssen uns spielende Kinder vor dem Parlament.

Minireform im Gleichstellungsgesetz

Die Session begann für uns Frauen überraschend gut. Noch in der letzten Session hatte der Ständerat das Gleichstellungsgesetz zurückgewiesen und erntete dabei heftige Kritik. Die gleiche Vorlage wurde dem Ständerat in dieser Session ein zweites Mal vorgesetzt und siehe da, sie kam durch. Die Bänke hinter den Herren Ständeräte waren rappelvoll mit Nationalrätinnen. Die Präsenz der Frauen zeigte Wirkung. Mit grossem Mehr kam die Minireform im Gleichstellungsgesetz durch. Unternehmen mit mehr als 100 Angestellten sind verpflichtet eine Lohnanalyse durchzuführen. Das ist alles! Sanktionen sind keine vorgesehen. Ein Ständerat fasste treffend zusammen: „Ein Tiger wurde in die Vernehmlassung geschickt, ein zahmes Hauskätzchen ist herausgekommen.“  Wir freuen uns trotzdem über diesen Etappensieg, auch wenn wir vom verfassungsmässigen Recht auf gleiche Löhne für gleichwertige Arbeit noch weit entfernt sind.

Frontalangriff auf Schweizer Grundwerte

Mit allen möglichen Tricks versuchte die SVP die Beratung ihrer Selbstbestimmungsinitiative in die nächste Session hinauszuzögern, um das Thema „Fremde Richter“  auch gleich als Wahlkampfthema für das Wahljahr 2019 auszuschlachten. Über zehn Stunden wurde zu dieser Initiative gesprochen, 80 Rednerinnen und Redner ergriffen das Wort. Um die Redezeit zu verlängern, stellten sich die SVPler gar gegenseitig Fragen. Doch filibustern nützte nichts. Der Ratspräsident setzte eine Open-End-Nachtsitzung an, um 23.30 Uhr wurde abgestimmt. Die Initiative kommt damit noch dieses Jahr an die Urne. Mein Hinweis, dass durch den Druck der europäischen Menschenrechtskonvention EMRK die Schweiz das Frauenstimmrecht einführte, versetzte Köppel in Rage. Er bezichtigte mich der brandschwarzen Lüge, allerdings bei ausgeschaltetem Mikrofon, dafür ziemlich laut und unanständig. Der Faktencheck von Swissinfo bestätigt jedoch meine Aussage. Das kümmert aber wenig. Die Initiative „Fremde Richter“  ist gefährlich und stellt einmal mehr unseren Rechtsstaat in Frage. Nur die letzte europäische Diktatur Weissrussland verweigert sich als einziges europäisches Land der Menschenrechtskonvention.

Waffenlobby gefährdet unsere Sicherheit

Auch bei der Behandlung des Waffengesetzes gingen die Emotionen hoch. Eine geringfügige und sinnvolle Anpassung an die neue EU-Waffenrichtlinie ist vorgesehen. Der illegale Waffenhandel und der Zugang zu besonders gefährlichen Waffen soll eingeschränkt werden. Der Bundesrat verhandelte gut mit der EU und erreichte eine Sonderregelung für das Sturmgewehr. Dem Nationalrat genügt dies nicht. Er will Waffenherstellern und Waffenhändlern Zugeständnisse machen und damit gegen zwingende EU-Waffenrichtlinie verstossen. Mit dieser Haltung befindet sich die Schweiz auf einem gefährlichen Kollisionskurs mit der EU. Werden die neuen EU-Vorschriften nicht umgesetzt, droht der Schweiz die Beendigung der gesamten Schengen/Dublin-Zusammenarbeit, was unmittelbar schwerwiegende Folgen für unsere Sicherheit hätte. Schengen ermöglicht der Polizei Zugang zu Fahndungsdaten mit jährlich rund 17‘000 Treffer n. „Ohne das System sind wir nicht nur blind, wir sind auch taub“, so Simonetta Sommaruga. Der Rauswurf würde Kosten von rund 11 Milliarden Franken jährlich auslösen.

Erstaunlich, dass die FDP auf Druck der Waffenlobby das gefährliche Spiel gegen die Schengen/Dublin-Verträge leichtsinnig unterstützt. Nicht nur die Waffenlobby, auch die Rüstungsindustrie nimmt grossen Einfluss auf die Politik. Das zeigt der absurde Bundesratsentscheid von letztem Freitag. Neu dürfen Kriegsmaterialen auch in Bürgerkriegsländer exportiert werden, mit der zynischen Begründung, dass Arbeitsplätze auf dem Spiel stehen.

Sparprogramme durch Schwarzmalerei

Mit fünf Milliarden Überschuss schliesst das Rechnungsjahr 2017 ab. Die Freude über den guten Abschluss ist getrübt. Im Budgetprozess malte Bundesrat Maurer schwarz und setzte ein weiteres Sparprogramm durch, genannt Stabilisierungsprogramm. Der Kostendruck auf das Personal wurde weiter erhöht. Leistungen der Entwicklungszusammenarbeit und die Kredite bei der Bildung wurden gekürzt. Und es wird weiter gespart und abgebaut. Kahlschläge drohen bei der Agroscope und beim Bundesamt für Wohnungswesen. Jahr für Jahr wiederholt sich ein ähnliches Szenario. Die Mitarbeitenden fühlen sich zu Recht verschaukelt, wenn auf ihrem Buckel gespart wird und der Rechnungsabschluss gleichzeitig statt einem Minus ein Milliardenüberschuss ausweist. Ein guter Service Public braucht motiviertes Personal. Diese Motivation leidet unter dieser absurden Finanzpolitik. Der Rekordgewinn hinterlässt deshalb einen fahlen Nachgeschmack.

Entwicklungsland Schweiz in der Familienpolitik

Die Wirtschaft ist auf eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie angewiesen. Die Anschubfinanzierung für Kinderbetreuungsangebote war die einzige Massnahme, die im Rahmen der Fachkräfteinitiative Wirkung zeigte. Das effiziente Impulsprogramm schaffte über 57‘000 Betreuungsplätze . Tagesstrukturen sind vielerorts noch immer rar, besonders auf dem Land und bei Schulkindern. Das Ziel ist somit noch längst nicht erreicht. Umso mehr erstaunt es, dass sich der Bundesrat gegen eine weitere Verlängerung der Anschubfinanzierung aussprach und diese Erfolgsgeschichte beenden wollte. Er erhielt Unterstützung von der FDP. Die Wirtschaftspartei begründete ihr Nein mit dem Vaterschaftsurlaub, beides sei nicht möglich. Als ob das eine mit dem Anderen etwas zu tun hätte! Wir brauchen beides. Dank einigen mutigen bürgerlichen Abweichlern wird die Anschubfinanzierung ein weiteres Mal verlängert. In den nächsten vier Jahren werden dafür 130 Millionen Franken als Finanzhilfe bereitgestellt. Auch der Kanton Schaffhausen muss jetzt die Chance packen, um endlich Tagesstrukturen für Schulkinder aufzubauen. Wir haben einen grossen Nachholbedarf, um mit den anderen Kantonen gleichzuziehen.

„Nationalrat im Haschischdelirium“

So der Titel in der NZZ, der treffend beschreibt wie der Nationalrat oder mindestens einige seiner Mitglieder, sich beim Experimentierartikel verhalten haben. Einige grössere Städte möchten den freien Zugang zu Marihuana streng kontrolliert testen. Dabei würden die Auswirkungen auf die Drogenszene, Gesundheit und den Schwarzmarkt wissenschaftlich begleitet. Die gesetzliche Grundlage dafür ist der Experimentierartikel. Im wertkonservativeren Ständerat wurde die Motion oppositionslos angenommen! Wir staunten nicht schlecht, als im ansonsten eher fortschrittlicheren Nationalrat der Vorstoss abgelehnt wurde. Nicht nur bei Kiffenden versagt manchmal das Kurzzeitgedächtnis. Auch Politikerinnen und Politikern kann es offensichtlich passieren, dass sie Vorstösse unterzeichnen und dann doch den Nein-Knopf drücken. Ein dutzend Liberale vergassen gar ihre liberalen Werte. Der Experimentierartikel fiel für alle überraschend durch. Kopfschütteln hüben und drüben. Über einen gleichlautenden Vorstoss der Gesundheitskommission wird nächste Session abgestimmt. Wir zählen nun auf das Langzeitgedächtnis unserer Parlamentskolleginnen und -Kollegen.

Meilensteine in der Wirtschaftsvorlage

Bei der Aktienrechtsrevision ist die Freude für einmal auf unserer Seite. Die Konzernverantwortungsinitiative wird im Aktienrecht mit einem Gegenvorschlag umgesetzt. Unternehmen mit Sitz in der Schweiz müssen in Zukunft auch bei ihren Geschäften im Ausland die Menschenrechte und die Schweizer Umweltstandards einhalten. Rohstoffkonzerne müssen transparenter über Zahlungen an Regierungen Auskunft geben. Hauchdünn kam zudem das zweite Kernanliegen durch, die weiche Frauenquote für Verwaltungsräte und Geschäftsleitungen. Nathalie Rickli kämpfte mit diesen Worten dagegen: „Gewisse Frauen überschätzen sich masslos!“  Aus unserer Sicht wohl eher eine Krankheit des anderen Geschlechts. Zu guter Letzt konnte ein weiteres Steuergeschenk für Aktionäre von rund zwei Milliarden Franken verhindert werden. Die Sommersession endete damit mit einem positiven Fazit für Frauenanliegen und mit einem starken Zeichen für globale Verantwortung.

Martina Munz, Hallau, 17. Juni 2018

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