Von Martina Munz, Nationalrätin – Diese Session wurde von keinem Megathema dominiert. Dafür konnten rund 150 persönliche Vorstösse abgearbeitet werden, darunter auch meine Vorstösse „Kein Ausverkauf der Wasserkraft“, „Radioaktive Substanzen dem Umweltschutzgesetz unterstellen“ sowie jener zur Erdbebengefährdung der AKW mit dem ich die Verzögerungstaktik von über 20 Jahren anprangerte. Zum Sessionsabschluss gab überraschend Bundesrat Burkhalter seinen Rücktritt bekannt. Burkhalter war ein Liberaler, der mit der SVP nicht auf Schmusekurs ging. Auf dem diplomatischen Parkett hat er als Vorsitzender der OSZE der Schweizer Aussenpolitik ein Gesicht gegeben. Er setzte sich unmissverständlich ein für die Entwicklungszusammenarbeit und für die Einhaltung der Menschenrechte. Innenpolitisch war seine fortschrittliche Europapolitik allerdings blockiert. Seine Nachfolge könnte das Kräfteverhältnis im Bundesrat verschieben. Entsprechend genau werden die Kandidaturen von allen Seiten geprüft. Das Kandidatenkarussell drehte sich bereits bis nach Schaffhausen. In Bern sorgt diese Kandidatur allerdings noch für kein Politgeflüster.
Neue Stromleitungen gehören in den Boden
Am ersten Tag der Session wurde im Nationalrat der Um- und Ausbau der Stromnetze behandelt. Das Stromnetz muss erneuert werden. Neue Leitungsprojekte wurden aber bis-her durch Einsprachen und lange Verfahren blockiert. Dem Parlament ist nun ein erstaun-licher Spagat gelungen. Die Bewilligungsverfahren werden beschleunigt ohne die Rechte der Bevölkerung einzuschränken. Gleichzeitig wird dem Wunsch nach Erdverlegung von Leitungen entsprochen. Auch im Klettgau hatten wir vor einigen Jahren die geplante Hoch-spannungsleitung quer durch den Klettgau bekämpft und trotz Mehrkosten die Erdverka-belung gefordert. Nach den neuen Kriterien ist die Erdverkabelung Standard, sofern die Kosten das Dreifache einer Freileitung nicht überschreiten. Die meisten Einsprachen erüb-rigen sich dadurch. Dieser Technologieentscheid schafft Rechtssicherheit, verbessert die Verfahren und ist ein grosser Erfolg für die Umwelt und den Landschaftsschutz.
Proteste der Bevölkerung zeigen Wirkung
Guter Service Public ist im Parlament noch mehrheitsfähig. Die Schliessung der SBB-Di-rektverkaufsstellen konnte durch ein Moratorium gestoppt werden und eine Post-Motion verlangt Versorgungssicherheit für Randregionen und eine Verbesserung der Qualität von Postagenturen. Besonderem Druck von rechts ist allerdings der Service Public der SRG ausgesetzt. Der SRG wird immer wieder versucht die Finanzen zu kappen durch die Re-duktion der Billag-Gebühren und durch ein Werbeverbot. Auch wird immer wieder versucht das Angebot der SRG zu beschneiden. Das hätte weitreichende Folgen für eine unabhän-gige Berichterstattung, aber auch für Schweizer Musikschaffende. Die Urheberin der Vor-stösse ist meist Nathalie Rickli, die von der Goldbachmediengruppe angestellt ist und als Lobbyistin agiert. Die Proteste der Bevölkerung gegen den Service Public-Abbau bei der Post zeigen Wirkung. Einen solchen Aufschrei braucht es auch gegen den Medien-Kahl-schlag. Nur so bleibt uns guter Journalismus erhalten.
Wasserkraft: too important to fail
Die Wasserkraft ist für die Schweiz systemrelevant und „too important to fail“. Sie hat sogar jahrelang die Atomkraft quersubventioniert. Kaum wirft der Goldesel Wasserkraft keine goldenen Taler mehr ab, wollen die Energiekonzerne diese an irgendwelche Investo-ren verscherbeln, um ihre Bilanz zu schönen. Mit einem Vorstoss wollte ich den Ausverkauf der Grosswasserkraft stoppen und dafür sorgen, dass sie in öffentlicher Hand bleibt. Leider fand sich dafür keine Mehrheit, obwohl bezüglich der Wasserkraft unbestritten rasches Handeln angezeigt ist. Die Energiekommission versuchte per Gesetz diesen Stromabsatz zu sichern, indem gebundene Endkunden zur Abnahme von inländischem, erneuerbarem Strom verknurrt würden. Damit hätte der Wasserstrom kostendeckend verkauft werden können und die Wasserkraft wäre gerettet gewesen. Das war einer Mehrheit des Nationalrates dann doch zu viel Eingriff in den Markt. Die Stromkonzerne sind damit ihrem Ansinnen, die Wasserzinsen massiv zu senken, ein gutes Stück vorangekommen. Die Ge-birgskantone blieben bisher erstaunlich ruhig!
Teure Schweizer Flagge
„Die Schweizer sind stolz, auf der See ihre Flagge zu sehen“, so Reto Dürler, Direktor des Schweizerischen Seeschifffahrtsamts. Was die Wenigsten wussten: die Schweiz leistet sich eine Hochseeflotte und bürgt für 50 Schiffe. Dieser Stolz kostet uns nun 215 Millionen Franken und weitere 600 Millionen sind gefährdet. „Was ich hier verdammt ungern tue, ist hier zu stehen und diese Bürgschaft zu verteidigen“, so Bundesrat Schneider Ammann. Die gesetzliche Grundlage für die Hochseeflotte wurde im Zweiten Weltkrieg unter Kriegsnot-recht geschaffen, um die Versorgung der Schweiz zu gewährleisten. Im kalten Krieg und später noch wurde sie ausgebaut. Heute fahren die Schiffe im Dienst von sechs privaten Reedereien, die von Bundeskrediten profitieren. Seit der Wirtschaftskrise leidet die Schifffahrt an Überkapazitäten. Die Bürgschaft wurde in der Wirtschaftskrise zu einer Solidar-bürgschaft ausgeweitet, der Kredit massiv erhöht und dem Parlament als unproblemati-sches Routinegeschäft verkauft. Jetzt hilft kein Wehklagen. Solidarbürgschaften kann man nicht entfliehen! Schneider Ammann: „Ich sage ihnen, wir sind nicht aus dem Schneider!“
Vorstösse zum Thema Asyl verleitet zu verbalen Ausrutschern
Sobald sie in ihren Heimatstaat reisen verlieren Flüchtlinge ihren Asylstatus. Diese Regelung wird bereits restriktiv umgesetzt. Grundsätzlich müssen alle Auslandreisen bewilligt werden, um beispielsweise nahe Verwandte in Frankreich zu besuchen. Jetzt sollen diese Auslandreisen verboten werden. Dieser und andere populistische Vorstösse sind Überbleib-sel des Wahlherbstes 2015 und wurden leider überwiesen statt versenkt! Man wähnte sich wieder im Wahlherbst: „Öffentliche Plätze überquellen mit Eritreern!“, „Frau Bundesrätin, wissen Sie, dass ihr Emotionsgedusel die Gemeinden viel Geld kostet?“ Menschenverach-tende Voten jagten sich. Von Asylsuchenden wird Anstand und Anpassung verlangt, aber nicht alle Wortführer im Parlament stellen sich selber diesen Ansprüchen. Erfreulicherweise fand die Notwendigkeit zur Änderung des heutigen Flüchtlingsstatus „vorläufig aufgenommen“ eine Mehrheit. Den Begriff „vorläufig“ hat Arbeitgeber glauben lassen, dass diese Personen schon bald wieder abreisen müssten. Damit hatten diese Flüchtlinge kaum Chan-cen auf dem Arbeitsmarkt, obwohl sie in der Regel über Jahre in der Schweiz bleiben. Die Änderung des Status verbessert ihre Situation und ermöglicht eine schnellere Integration.
Armee kann auf ein spendables Parlament zählen
Die neuste Forderung der Armeeturbos nach 70 neuen Kampfjets ist ungeheuerlich und zeigt, welche Bedienungsmentalität bei der Armee herrscht. Die Kampfjets sollten sogar aus dem ordentlichen Budget bezahlt und damit am Volk vorbeigeschmuggelt werden. Das werden wir sicher verhindern. Für Rüstung und Immobilien beantragt der Bundesrat dem Parlament Kredite von insgesamt 2,1 Milliarden Franken. Weil der Bundesrat das Raketen-Abwehr-Projekt „Bodluf“ gestoppt hatte, wurde eine 225 Millionen Franken teure Verlegen-heitsbeschaffung bewilligt. Munitionsvorräte werden nun aufgestockt, obwohl Fragen zur Verwendung und korrekten Lagerung keineswegs schlüssig beantwortet werden konnten. Dem Kredit zur Verlängerung der Nutzungsdauer der F/A18 haben auch wir zugestimmt. Die längere Nutzung der F/A18 ist sinnvoll und wurde von uns bei der Grippen-Abstimmung bereits gefordert. Damit kann die Armee ihre luftpolizeilichen Aufgaben ohne neue Kampfjets über das Jahr 2025 hinaus wahrnehmen. Die Aufrüstung der 20-jährigen Kampfjets zu erdkampftauglichen Bombern wurde gebodigt. Dieses Gadget wurde der Ar-mee nicht bewilligt und sogar von Bürgerlichen als „Bubenspielerei“ bezeichnet.
Häusliche Gewalt noch immer ein Kavaliersdelikt?
Mit ihrem Beitritt zur Istanbul-Konvention des Europarates will die Schweiz dazu beitragen, Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt europaweit besser zu bekämpfen. Es ist das erste, bindende Abkommen, das Frauen vor Gewalt schützt. Die Schweiz erfüllt die Anfor-derungen des Abkommens, gesetzliche Anpassungen sind nicht notwendig. Die SVP wollte der Konvention nicht beitreten: „Warum wollen Sie anderen Ländern ins Gewissen reden?“ Die Antwort eines BDP-Politikers: „Die Schweiz hat eine humanitäre Tradition, wir setzen uns stark ein für Menschenrechte. Wir wollen, die Welt verbessern. Mir ist es ein Anliegen, dass es den Menschen weltweit besser geht.“ Dieses Votum zeigt den grossen Unterschied von BDP und SVP im Politstil! Schade, dass diese Partei immer mehr an Einfluss verliert.
Hallau, 18. Juni 2017, Martina Munz, Nationalrätin / www.martinamunz.ch