Ist alles erlaubt was machbar ist?
Der Bundesrat wollte ein restriktives Präimplantationsgesetz. Diese Technologie sollte nur zugelassen werden für Eltern, die von schweren Erbkrankheiten betroffen sind. Die natio- nalrätliche Kommission hingegen wollte das Gesetz weit öffnen. Wichtige Fragen stehen zur Debatte. Darf man menschliche Embryonen selektionieren, die genetisch „richtigen“ auswählen und die überzähligen fortwerfen? Dürfen im Reagenzglas Embryonen erzeugt werden, die primär ausgetragen werden um als sogenannte Retterbabys einem kranken Geschwister eventuell das Leben retten zu können?
Die Fruchtbarkeitskliniken haben grosses Interesse an einem liberalen Gesetz. Es wartet ein millionenschweres Geschäft. Ethische Bedenken haben hinten anzustehen. Schliess- lich hat der Nationalrat doch beschlossen, die Retterbabys zu verbieten. Die Fraktionen fast aller Parteien waren in ihrer Haltung zu diesen Fragen gespalten. So ist es mir gelun- gen einen Einzelantrag im Nationalrat durchzubringen, obschon die Kommissionen beider Räte bereits über das Gesetz beraten hatten und der Ständerat gar darüber abgestimmt hatte. Mein Antrag verlangte, dass Samen von Spendern nicht mehr eingesetzt werden dürfen, sofern die Spender bereits verstorben sind. Einzelanträge in diesem späten Zeit- punkt der Beratung sind selten von Erfolg gekrönt. Ich spürte viel Anerkennung und wurde gleich für die Arena zu dieser Thematik angefragt.
Empörte Männer – duldsame Frauen
Mit der Vorlage zum Kindesunterhalt wird das ZGB modernisiert. Neu haben Kinder An- spruch auf einen Betreuungsunterhalt. Väter, die ihre Kinder nicht betreuen, müssen sich an den Betreuungskosten beteiligen. Die Reaktion von Vätervereinigungen war heftig, die Schlagzeilen in den Zeitungen deutlich: „Männer sind empört!“ Über Jahrzehnte waren Alleinerziehende, meist die Mütter, benachteiligt. Für sie wird eine von vielen Ungerech- tigkeiten abgeschafft. Wichtiges aber blieb auf der Strecke. Noch immer gibt es keine Mankoteilung und keinen Mindestunterhalt. Eigentlich müssten jetzt die alleinerziehenden Mütter aufbegehren, doch sie sind weniger gut organisiert.
Die SVP hat noch letztes Jahr mit einer Initiative dafür gekämpft, dass Frauen zu Hause bei den Kindern bleiben sollen. Jetzt hat die Tonalität der SVP geändert: „Frauen sollen nach einer Trennung bitteschön die Hälfte aller Kosten für die Kinder tragen. Auch die Kosten für die Kinderbetreuung sind hälftig zu teilen“. Das ist Gleichberechtigung „à la rechts“! Das Votum war entlarvend! Offenbar brauchen Kinder nach der Trennung ihre Mütter nicht mehr. So wird die Welt immer wieder neu erfunden.
Ein Koffer voll Bargeld ist voll ok!
Die Schweiz muss ihre Geldwäschereiregeln an die aktuellen internationalen Standards anpassen (GAFI). Der Bundesrat wollte diese Empfehlungen zurückhaltend umsetzen und damit verhindern, dass die Schweiz auf die Schwarze Liste gesetzt wird. Im Nationalrat wurden aber alle griffigen Bestimmungen abgeschafft. Eine Machtdemonstration der Fi- nanzhaie. So sollen Bargeldzahlungen von über 100‘000 Franken weiterhin erlaubt sein. Eine der vielen absurden Begründungen lautete, Giezendanner müsse seine Occasions- Lastwagen bar bezahlen! Die Genfer Finanzanwälte im Nationalrat haben ihren Einfluss geltend gemacht. Eigene Interessen sowie jene von dubiosen Treuhändern wurden über die Interessen des Landes gestellt. Falls der Ständerat die Entscheide nicht zurechtbiegt, hat sich die Finanzwelt damit einen Bärendienst erwiesen. Für den Finanzplatz Schweiz wird es kaum förderlich sein, auf die Schwarze Liste gesetzt zu werden.
Feindbild „Ausländer“ wird weiter kultiviert
Das Bürgerrechtsgesetz wird laufend weiter verschärft. Ein Schweizerpass soll nur noch erhalten, wer die C-Bewilligung hat und sich in einer Landessprache in Wort und Schrift gut verständigen kann. Auch die Jahre der vorläufigen Aufnahme sollen nicht mehr voll angerechnet werden. Unsere Fraktion hat mit viel Engagement dagegen gekämpft und in der Folge das Gesetz abgelehnt. Gerade während der WM kommt mir dies alles absurd vor. Die Ausländer müssen als Feindbild für Alles herhalten, gleichzeitig sind alle Fan un- serer Nati, wo die besten Torschützen weder Rüdisüli noch Oberholzer heissen.
Alle Menschen, die hier leben und arbeiten, sollen Teil unserer Gesellschaft sein. Sie sol- len mitreden und mitbestimmen dürfen. Ein Weg zur Mitbestimmung wäre ein Stimm- und Wahlrecht für Ausländerinnen und Ausländer. Darüber stimmen wir im Kanton Schaffhausen am 28. September dieses Jahres ab. Der andere Weg ist die Einbürgerung, aber dieser Weg wird immer steiniger.
Gewitterstimmung innerhalb und ausserhalb des Bundeshauses
Während es am zweitletzten Tag der Session draussen blitzte und donnerte, knisterte es auch im Nationalratssaal. Das Dublin-Abkommen stand auf der Traktandenliste. Die EU will die Asylverfahren mit der Erweiterung des Abkommens schneller und fairer gestalten. Die Schweiz kann es annehmen oder muss den Vertrag kündigen. Fast alle Fraktionen waren sich einig: das Dublin-Abkommen ist für die Schweiz nicht nur im Asylbereich sehr wichtig. Die SVP aber stellte sich quer. Simonetta Sommaruga brachte es auf den Punkt: „Sie stellen den Nichteintretensantrag nur, weil Sie wissen, die anderen werden es ja schon verhindern!“ Die Stimmung wurde alsbald mit Reizworten wie „Kriminaltouristen“ aufgeheizt. Als die rechte Ratsseite gar die Hilferufe von Italien im Asylbereich ins Lä- cherliche zog, hatten nicht mehr alle ihre Emotionen im Griff. Buh-Rufe und Applaus wechselten sich ab. Die Verzögerungen im Ratsbetrieb führten dazu, dass Bundesrätin Sommaruga vor der Schlussabstimmung sich für einen offiziellen Anlass verabschieden musste. Da lief es Mörgeli aus dem Ruder: Seit 1848 sei noch nie eine solche Ungeheuer- lichkeit vorgekommen. Das Geschäft wurde abgebrochen und auf die nächste Session vertagt. Auch dieser Abbruch führte zu tumultartigen Szenen.
Die Fortsetzung der Debatte zum Geldwäschereigesetz und den Fifa-Korruptionsaffären wirkten nicht beruhigend auf den Ratsbetrieb. Ich wähnte mich eher in einem Fussball- stadion als im Nationalratssaal. Die Schülerinnen und Schüler auf der Tribüne mussten sich wenigsten nicht über einen langweiligen Ratsbetrieb beklagen.
Bundesbern aus Schaffhauser Sicht
Für Schaffhausen war in dieser Session einzig die Freigabe der Mittel für das Agglomera- tionsprogramm von Bedeutung. Damit werden einige Projekte für den Langsamverkehr in Schaffhausen mitfinanziert. Der Bundesbeschluss wurde mit grossem Mehr angenommen. Nur unser Schaffhauser Nationalrat setzte sich gegen diese Finanztranche ein, trotz der Vorteile für Schaffhausen, weil dann zu wenig Geld für den Strassenbau übrig bleibe.
Der Schaffhauser Kulturschaffende Beat Toniolo (info@toniolo.ch) hat ein Spiel kreiert mit 101 +1 Fragen an die Schweiz. Die Übergabe des Spieles fand im Ständeratsbüro von Hannes Germann mit dem bekannten Sportreporter Marcel Reif und mit Julia Flückiger (Ex-Miss-Schweiz) von Stein am Rhein statt. Sie nutzt ihre prominente Position erstaun- lich gut als Botschafterin für soziale Fragen und gibt damit den Schwächsten eine Stimme. Ihr Mut und ihr Engagement beeindrucken mich sehr.
Spannend war auch das Treffen auf dem Gurten von über dreissig Leuten mit Schaffhau- ser Wurzeln, die in Bern arbeiten. Erstaunlich viele haben sich dem Journalismus ver- schrieben. Zwei junge Schaffhauserinnen, Lena Sorg und Yasmine Cevik politisieren im Parlament der Stadt Bern in der SP-Fraktion. Ich freue mich über ihr Engagement und hoffe, diese jungen Politikerinnen kehren gelegentlich nach Schaffhausen zurück. Wir würden uns über Verstärkung freuen!
22.6.2014, Martina Munz