Stellungnahme der Sozialdemokratischen Partei des Kantons Schaffhausen –
Sicher ist nur die Unsicherheit – und der Schaden für Schaffhausen!
1. Grundsätzliche Bemerkungen
Voraussagen sind schwierig, vor allem wenn sie die Zukunft betreffen. Wenn die Zukunft, für die mit dem vorliegenden Verfahren Lösungen gefunden werden soll, aber eine Million Jahre entfernt ist, befinden wir uns im rein spekulativen Bereich. Naturereignisse sind über diese Zeiträume nicht vorhersehbar. In den nächsten 1’000’000 Jahren können Eiszeiten das Mittelland mit Eis überziehen, können Erdbeben eintreten. Die Folgen sind nicht vorhersehbar. Das muss in aller Offenheit thematisiert statt übergangen werden.
Das Kernenergiegesetz schreibt die dauerhafte Markierung vor. Die Wissenschaft geht aber davon aus, dass die Menschen in 10’000 Jahren – oder 300 Generationen – heutige Sprachen und Schriften nicht mehr verstehen. Wie soll dieses unlösbare Problem gelöst werden?
Rund 440 AKW weltweit produzieren jährlich rund 8‘300 Tonnen radioaktiven Atommüll. Auf der ganzen Welt ist aber noch kein Atommülllager für hochradioaktiven Abfall in Betrieb. Versuche in Asse und Gorleben sind nicht sehr ermutigend und die Erfahrungen mit der Sondermülldeponie Kölliken zeigen, dass bereits der Umgang mit weniger langlebigen giftigen Abfällen zum Desaster führen kann.
Solange die Schweiz nicht den Ausstieg aus der Atomenergie beschliesst, wird die Frage der sicheren Endlagerung radioaktiver Abfälle erst recht nicht zufrieden stellend zu beantworten sein. Ist der Ausstieg aus der Atomenergie einmal beschlossene Sache, kann anders an die Lösung der Lagerung von Atommüll herangegangen werden. Es ist ein gewaltiger Unterschied zwischen der Endlagerung als Erblast einer zu Ende gehenden AKW-Epoche und einem Entsorgungsnachweis, der dazu dient, die weitere Produktion von Atommüll zu legitimieren. Wir sind nicht gewillt, an Lösungen mitzuwirken, die dazu dienen, den Boden zu bereiten für den Bau eines neuen AKW.
Wir kritisieren den hohen zeitlichen Druck, mit dem das Verfahren unnötig rasch voran getrieben wird. Dieser Druck trägt den komplexen Sachverhalten nicht Rechnung mit denen die anzuhörende Bevölkerung konfrontiert ist.
Wir stellen fest, dass es noch viele offene Fragen gibt, zentrale Fragen zur Geologie, zur Technologie, zu den Materialien und Methoden. Diese Fragen müssen vollumfänglich und auf standortspezifischen Grundlagen beantwortet werden und zwar vor der Einengung der Standorte auf je zwei pro Abfallkategorie und unabhängig von zeitlichen Verzögerungen. Nur so sind Vergleiche zwischen den Standortregionen, die den Kriterien der Transparenz und der wissenschaftlichen Glaubwürdigkeit dienen, möglich.
Die von Nagra, ENSI, Swisstopo und KNS vorgenommenen Bewertungen der geologischen Standortgebiete sind verfrüht. Die vom Sachplan verlangte Bewertung kann zum jetzigen Zeitpunkt nicht erfüllt werden, es bestehen zu viele Unklarheiten. Die KNS hält fest, dass die provisorischen Sicherheitsanalysen hinsichtlich Konservativität und Robustheit vergleichbar sein müssen. Die Frage, ob dies mit dem unterschiedlichen Wissenstand zu den Standortgebieten möglich ist, ist nicht beantwortet. Die KNS geht davon aus, dass für vergleichbare provisorische Sicherheitsanalysen zusätzliche erdwissenschaftliche Untersuchungen erforderlich sind. Diese werden Zeit in Anspruch nehmen. Die Kantone kommen zu gleichen Schlüssen. Sie fordern ebenfalls eine Gleichstellung des Wissens. Die SP Schaffhausen schliesst sich dieser Forderung an.
2. Viele offene Fragen
Zur Geologie
Obwohl der Opalinuston als ideales Gestein für ein Tiefenlager propagiert wird, gibt es auch mit ihm Probleme. Er gilt als wasserdicht, enthält selber aber 180 Millionen Jahre altes salzhaltiges, aggressives Meerwasser. Kommt dieses mit dem Stahl von Fässern in Kontakt, oxidieren diese. Es entsteht Wasserstoff, der sich in der Wärme ausdehnt und im Falle einer Explosion den Ton aufsprengt.
Im Kontakt mit Beton verändern sich die Tonmineralien und damit die Eigenschaften des Tons, weil Beton basischer ist als Opalinuston. Beton aber braucht es, um die Stollen zu stabilisieren. Was wird das für Konsequenzen haben?
Die abdichtende Eigenschaft des Opalinustons ist nur gewährleistet, wenn er nicht verletzt wird. Wie aber soll ein Zugangsstollen in die Opalinus-Schicht erstellt werden ohne deren Dichtigkeit zu schwächen?
Notwendig sind im weiteren Felduntersuchungen in den Standortgebieten, das Erarbeiten von Modellen zur morphogenetischen Entwicklung in den Standortgebieten, insbesondere zur Gefährdung durch (glaziale) Tiefenerosion. Gemäss neuesten Erkenntnissen könnten die grossräumigen Erosionsraten bis zu einem Faktor fünf grösser sein als bisher angenommen. Die Arbeiten zur Abklärung von Neotektonik und Erosion müssen deshalb verstärkt werden.
Zum Lager
Es braucht Lagerbehälter für die verglasten hochaktiven Abfälle und abgebrannten Brennelemente, welche im Tiefenlager nicht zur Gasbildung führen. Es ist völlig ungeklärt, welche Materialien diese Eigenschaft überhaupt erfüllen. Es ist bis heute kein Material für die Verpackung bekannt, das in Kontakt mit dem Wirtsgestein nicht korrodiert und standhaft genug ist für hunderttausende von Jahren.
Die untertägigen Erschliessungsbauten müssen so konzipiert werden, dass die Wege im Wirtgestein möglichst kurz sind. Die Öffnung eines Hohlraums im Gestein führt zu Spannungsänderungen im Untergrund. Als Folge davon kann sich das Gebirge deformieren, was zur Öffnung von Klüften und zu neuen Wasserwegen führen kann. Um das Gestein möglichst wenig zu verletzen, bräuchte es einen einzigen, senkrechten Schacht. Die Nagra hingegen will eine breite Rampe bis ins Lager bauen.
Zur Langzeitüberwachung
Nach dem Verschluss des Lagers nach 50 bis 100 Jahren ist keine Langzeitüberwachung mehr vorgesehen. Ein Lager müsste aus Sicherheitsgründen aber dauernd überwacht werden. Nur: Welche Sonden halten Jahrtausende? Wie können diese tief im Erdinneren ersetzt werden, ohne das Lagersystem zu stören? Was soll gemessen werden?
Aus Sicherheitsgründen ist eine Langzeitüberwachung zwingend und sie folgt auch zwingend aus dem Konzept der Rückholbarkeit. Wer aber finanziert diese? Über einen Zeitraum von mehreren Zehntausend Jahren? Wer bezahlt die Safeguards, die gemäss Vorgaben der IEA festgelegt sind? Gemäss geltendem Gesetz hat die Atomwirtschaft nach dem Verschluss keine finanziellen Lasten mehr zu tragen, was bedeutet, dass sie vom Staat zu übernehmen wären. Das halten wir für vollkommen falsch und fordern deshalb die zeitlich unbeschränkte Kostentragpflicht der AKW-Betreiber.
Zur Markierung
Wie kann ein Atommüll-Lager langfristig sicher markiert und damit vor allfälligen Untergrundkonflikten geschützt werden (Tunnels, Kiesabbau, Geothermie)? Wie können die einzelnen Behälter so markiert werden, dass auch nach sehr langer Zeit verstanden wird, was in ihnen verpackt ist? Wie wird überhaupt sicher gestellt, dass die unterirdisch gelagerten Atommüllfässer von den kommenden tausenden von Generationen nicht vergessen werden? Die Frage der dauerhaften Markierung muss mit hoher Intensität angegangen werden, unter anderem auch im Hinblick auf die Gefahr durch Attacken auf moderne Kommunikationssysteme (siehe Atomanlagen im Iran). Dabei muss der Widerspruch berücksichtigt werden, dass Atommülllager einerseits erkennbar sein müssen wegen Nutzungskonflikten und auf der anderen Seite aber nicht zu Terrorangriffen einladen sollen…
Zu Naturereignissen
Es wird in den kommenden 100‘000 Jahren zu neuen Eiszeiten, zu Erdbeben, zu Überflutungen kommen. Das zu behaupten ist mindestens so berechtigt wie es zu leugnen. Wie also wird das Atommüll-Lager davor geschützt? Kann man das überhaupt?
3. Unabhängigkeit der Forschung
Um eine sichere Lösung zu finden, braucht es unabhängige Forschung und genügend finanzielle Mittel. Beides ist nicht gegeben: Die Nagra hängt am Tropf der AKW-Betreiber. Diese wollen den Atommüll möglichst schnell und kostengünstig loswerden. Zudem sind die fachlichen und personellen Abhängigkeiten der zuständigen Behörden von der Nagra nicht zu übersehen. Es ist nie gut, wenn die Kontrollierten die Kontrolleure kontrollieren. Es ist zwingend, dass der Bund ein weiteres Forschungsgremium ins Leben ruft , das von der Nagra unabhängig ist. Der Bund muss für eine kompetente, offene und glaubwürdige Führung des Entsorgungsprogramms sorgen; der Nagra steht nicht mehr zu als die Rolle eines ausführenden Ingenieurunternehmens.
4. Schaden für unsere Region
Die Studie zur Abschätzung der sozioökonomischen Effekte eines Atommüll-Lagers im Weinland auf den Kanton Schaffhausen hat deutlich aufgezeigt, dass unsere Region in seiner sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung massiv geschädigt würde. Das Atommüll-Endlager ist ein klarer Standortnachteil. Der Imageschaden zeichnet sich schon im Vorfeld ab (wir verweisen auf Erfahrungen der Wirtschaftsförderung im Zusammenhang mit Ansiedlungsprojekten). Ein Endlager in unmittelbarer Nähe zu unserem grossen BLN-Gebiet ist ein Widerspruch in sich selbst. Atommüll in Naturreservaten verträgt sich nicht. Der Rheinfall als erstklassiges touristisches Objekt würde völlig entwertet.
5. Demokratiedefizit
Die letzte Revision des Kernenergiegesetzes hat den Kantonen das Vetorecht aus den Händen genommen. Wir halten aber daran fest, dass keiner Region in unserem Land ein Atommüll-Lager aufgezwungen werden darf. Deshalb ist die gesetzliche Wiedereinführung des Vetorechts unabdingbar. Zudem muss das Entscheidungsverfahren den Einbezug der Bevölkerung im grenznahen Ausland sicher stellen. Landesgrenzen haben bezüglich der Konsequenzen eines Atommüll-Lagers keine Bedeutung, und dieser Tatsache muss ein demokratisch sauberes Prozedere Rechnung tragen.
6. Schlussbemerkungen
Die SP des Kantons Schaffhausen hält den Entsorgungsnachweis für nicht erbracht und verlangt eine Neubeurteilung unter Berücksichtigung der in dieser Vernehmlassungsantwort aufgeworfenen, schwerwiegenden Fragen. Weder die Technik noch die Methodik noch die Materialien für ein Atommüll-Endlager sind ausgereift; selbst bezüglich Geologie sind zentrale Fragen bisher nicht beantwortet worden.
Die wichtigste Hürde, die der Lösung der Entsorgung entgegensteht, ist die Frage der Fortsetzung oder Beendigung der Stromerzeugung durch Atomkraftwerke. Jedes neue AKW wird das Entsorgungsproblem verschärfen, der Verzicht darauf wird es entschärfen. Deshalb ist die wichtigste vorbereitende Handlung für die spätere Endlagerung der Ausstieg aus der Atomenergie mit ihrer radioaktiven Abfallproduktion.
Wir fordern die Behebung der unter Punkt 5 erwähnten Demokratiedefizite, die Übertragung der Forschungsführung an ein von der Atomindustrie unabhängiges Gremium, die Fortsetzung der Kostenpflichtigkeit der Atomindustrie für ein Endlager über dessen „endgültigen“ Verschluss hinaus sowie die wissenschaftliche Bearbeitung und Beantwortung aller in Punkt 2 aufgeworfenen Fragen.
Schaffhausen, 17. November 2010
SP des Kantons Schaffhausen
Martina Munz, Präsidentin