Von Christoph Brassel – Vor etwas mehr als einem Jahr haben sich viele Stimmen in der CH-Medienwelt darüber aufgehalten, dass die SP-Schweiz so „hoffnungslos veraltete“ Ziele wie die „Überwindung des Kapitalismus“ in ihr Parteiprogramm aufgenommen hat. Nun ein gutes Jahr später, unter dem Eindruck des immer casinohafteren globalen Finanzmarktes, der mit seiner Jagd nach raschen hohen Gewinnen, mit seinen gefährlichen Währungsspekulationen und mit äusserst unberechenbaren Finanzprodukten das Gleichgewicht der realen Wirtschaft bedroht, – unter dem Eindruck dieses entfesselten „Apokalypitalismus“, der im Begriffe ist, die „gute alte Marktwirtschaft“ flachzuwalzen, steht das Wort „Kapitalismus“ plötzlich nicht mehr unter Heimatschutz. Sogar der Vorsitzende des Kapitalisten-Mekkas WEF in Davos, Klaus Schwab, verkündet nun ganz unverblümt, dass der Kapitalismus nicht mehr in unsere Welt passe. Auch andere frühere Anhänger des alles bestimmenden Marktes, wie etwa der konservative Publizist (und M. Thatcher Biograf) Charles Moore in England oder der Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ), Frank Schirrmacher, fragen sich heute ernsthaft, ob die Linke mit ihrer Kritik am Kapitalismus nicht doch recht habe? Kapitalismuskritik, vor kurzem noch als hoffnungslos verstaubt verschrien, erweist sich plötzlich als aufregend und sexy, und es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich dieser Trend auch in der Schweizer Parteienlandschaft niederschlagen wird. Besonders die flexible CVP wird mit smartem Politmarketing versuchen, die SP – zumindest in verbaler Hinsicht – links zu überholen und wird, z.B. mit der Familienpartei-Parole: „Mami- und Papismus, statt Kapitalismus“ die Finanzbranche energisch zum freiwilligen Verzicht auf den Kapitalismus auffordern, während die megatrendigen Grünliberalen den Kapitalismus zwar weiterführen wollen, aber nur unter der Bedingung, dass die Unternehmen eine bescheidene Kompensationsgebühr zur Förderung nicht-kapitalistischer Projekte in der Dritten Welt entrichten. Es wird wohl auch nicht lange dauern, bis sich dann eine neue parteilose „Partei der extremen Mitte“ bilden wird mit dem Slogan „ab die Post in den Postkapitalismus“ – diskret gesponsert vermutlich von Postfinance. Aber auch überzeugte Business-Kapitalisten werden im Nu auf den antikapitalistischen Zug aufspringen und die Abschaffung des Kapitalismus als lukrativen Wachstumsmarkt entdecken. Das Geschäft mit Che Guevara-T-Shirts, mit Karl-Marx-Brothers-DVD‘s, mit Rosa-Luxemburgerlis und mit hochprozentigen Cédric-Wermuths-Tropfen wird derart florieren, dass der Kapitalismus sich mit Hilfe seiner eigenen Abschaffung sanieren kann. Sogar die UBS wird in den boomenden Markt mit breit diversifizierten Anti-Kapitalanlagen einsteigen, und an der Börse werden bereits attraktive Futures auf den Zusammenbruch des Kapitalismus gehandelt. Abgerundet wird dieses Bild von einem höchst innovativen Nespresso-Werbespot, in welchem Michail Gorbatschow von Espressoduft beflügelt eine ultimative Sprechblase steigen lässt: „Der Kommunismus ist gescheitert, der Kapitalismus scheitert immer noch.“
Einer solchen nespressiven Einstellung zum Kapitalismus
kann nun aber die stramme SVP ganz und gar nichts abgewinnen. Sie lässt aus ihrem Herrliberger Hauptsitz verlauten, die derzeitige Krise sei einzig und allein nur darauf zurückzuführen, dass der Kapitalismus eben bisher nicht kapitalistisch genug praktiziert worden sei. Die Rettung könne nur durch einen knallharten Kapitalismus „ohne wenn und aber“ kommen, nur durch einen marktreligiösen Kapitaliban-Kapitalismus sozusagen, unter profitabler Privatisierung von AHV, Justizwesen, öffentlichem Grund, Wasser und Luft. Anstelle der ohnehin missbrauchsanfälligen Sozialhilfe müssten sodann konsequenterweise wieder die Schuldknechtschaft und das Kinder-Verdingwesen eingeführt werden; – womit sich der Kapitalismus ironischerweise gerade durch seine exzessive Steigerung früher oder später selbst aus seinen nicht mehr vorhandenen Angeln heben wird.
Während also die SVP den Kapitalismus von allem Wenn und Aber reinigen wollen, ist es für die SP, die nun in der aufgeflammten Kapitalismusdebatte unverhofft im Rampenlicht steht – Parteiprogramm hin oder her -, letztlich nicht so entscheidend, wie die von ihr angestrebte Gesellschaftsform heisst, Hauptsache, es ist eine Gesellschaftsform mit viel Wenn und Aber.
Spätestens hier fragt man sich jedoch, was denn die klassische Partei des Kapitals, die FDP, zur Kapitalismusfrage zu sagen hat? Offenbar nicht gerade viel, denn die aufreibende Umstellung von der Schwarz- auf die Hellgraugeldstrategie, absorbiert gegenwärtig alle Kräfte. Aus Liebe zur Schweiz möchte man daher auf ein solches Nebenthema derzeit nicht eingehen und verweist stattdessen auf die vielversprechenden „St. Galler-Worscht-Case-Studien“ des berühmten HSG Woodoo-Oekonomen „Ekono Misu Isse“, wo vorgeschlagen wird, man solle den Kapitalismus punktuell gezielt dort abschaffen, wo dies die Wirtschaftsleistung ankurble. Und zwar sollten dezentral sogenannte kapitalismusfreie Zonen (mit selbstverwaltet-nicht-kapitalistischen Insassen) geschaffen werden, welche man dann gegen respektable Eintrittsgebühren wie einen riesigen Masoala-Zoo mit dem Safari-Offroader besuchen könne; denn auch seine Abschaffung soll sich für den Kapitalismus – wie jede Leistung – lohnen, aus Liebe zu Masoala, ohne wenn und aber….. Christoph Brassel 9.3.2012