Zum internationalen Tag der Arbeit wendet sich SP-Präsident Christian Levrat mit einer Videobotschaft an die Bevölkerung.
Gestern traf ich zufällig Irène. Sie schilderte mir die Situation ihrer Familie:
“Mein Mann ist seit mehr als zwei Jahren arbeitslos. Er ist 41 Jahre alt, körperlich fit und obwohl er neben Deutsch zwei weitere Sprachen fliessend spricht und ausserdem Geschichte und Archäologie studiert hat, ist er bereit jede Arbeit anzunehmen. Er hätte gerne in einem Supermarkt gearbeitet, doch da wir in einem Dreiländereck leben, sind praktisch alle Stellen von Grenzgängern belegt. Da er nicht mehr bei der Arbeitslosenkasse registriert ist, taucht er in keiner Arbeitslosen-Statistik mehr auf, er existiert einfach nicht. Sagen Sie mir bitte, wohin führt das?”
Gewerkschafter, Politiker und linke Organisationen erleben solche Situationen Tag für Tag. Unsere Landsleute beklagen die aktuelle Situation und sie spitzt sich zu. Und sie haben Recht: Das Arbeitslosenversicherungsgesetz, das seit dem 1. April in Kraft ist, ist ein Bruch mit der Solidarität. Ausserdem stagnieren die Löhne seit zehn Jahre. Die Kaufkraft nimmt ab, die Krankenkassenprämien explodieren. Die Mittelschicht, die unseren sozialen Zusammenhalt garantiert, verschwindet.
Jeder Ökonom wird Ihnen sagen, dass es der Schweiz gut geht. Unter anderem auch wegen des freien Personenverkehrs mit der EU. Ist der Fall von Irène also ein Einzelfall? Nein! Der Schweiz geht es zwar gut, aber nur eine Minderheit kann von diesem Wohlstand profitieren. Vor allem Arbeitgeber, Führungskräfte und Aktionäre einiger grosser Unternehmen nutzen die Situation aus, dass es in der Schweiz keine Mindestlöhne und nur unzureichende Kontrollen und Sanktionen gibt. Spekulanten ziehen dicke Profite aus den überrissenen Immobilienpreisen in den Grossstädten. Die Krankenversicherungen streichen zu Gunsten ihrer Aktionäre dicke Gewinne ein, die zu Lasten der Patientinnen und Patienten gehen. Dies ist eine höchst gefährliche Tendenz.
Ein andere Politik ist möglich. Eine Politik für alle statt für wenige. Eine Politik für alle Schweizerinnen und Schweizer, die nicht in den Verwaltungsräten von grossen Banken oder Versicherungen sitzen.Wir wollen eine Schweiz, in der sich die Politik nicht auf die Interessen einiger weniger beschränkt. Eine Schweiz, die wir zusammen bauen. Und nicht gegeneinander. Die SP wird sich auch in Zukunft für eine solche Schweiz engagieren:
Anständige Löhne für alle, statt extravagante Boni für wenige. Es ist inakzeptabel, dass 400’000 Menschen in der Schweiz von weniger als 4’000 Franken pro Monat leben müssen. Gemeinsam kämpfen linke Parteien und Gewerkschaften für die Gleichstellung und die soziale Gerechtigkeit. Am Frauenstreiktag vom 14. Juni, mit unsererInitiative für einen gesetzlichen Mindestlohn, mit der 1:12-Initiative der JUSO und mit dem Engagement für eine angemessene Lohnerhöhung im kommenden Herbst.
Eine Krankenversicherung und bezahlbare Prämien für alle, statt Versicherungsgewinne für wenige. Wir wollen, dass die Gesundheitsversorgung von guter Qualität und für alle zugänglich ist. Der Pseudo-Wettbewerb zwischen den privaten Versicherern dient nur deren Interessen. Wir fordern mit unserer Initiative eine öffentliche Krankenkasse nach dem Modell der Suva. Diese ist gerecht und günstig.
Eine sichere Energieversorgung für alle, nicht Vorteile für ein paar Strombarone. Bis 2030 sollen die erneuerbaren Energien mindestens die Hälfte des Bedarfs abdecken. Mit unserer Cleantech-Initiative werden die dafür notwendigen Investitionen im Energiesektor getätigt und 100’000 Arbeitsplätze in der Schweiz geschaffen. AKW sind teuer und gefährlich Die SP will eine intakte Erde für alle zukünftigen Generationen und keine kurzfristigen Interessen der Atomlobby.
Erschwinglicher Wohnraum für alle, statt dicke Gewinne für Immobilienhaie. Die Mieten steigen und steigen. Die Hausbesitzer streichen grosse Gewinne auf Kosten der Mieterinnen und Mieter ein. Mehr und mehr wird die Mittelschicht aus Städten und Agglomerationen verdrängt, weil sie die Mietkosten nicht mehr bezahlen kann. Die SP fordert, dass die Mieten die tatsächlichen Kosten widerspiegeln. Der soziale Wohnungsbau muss gefördert und die Rechte der Mieterinnen und Mieter müssen gestärkt werden.
2011 muss ein politischer Wendepunkt sein. Mitarbeitende, Rentnerinnen und Rentner, Familien, welche unser Land gestalten, gehören ins Zentrum. Und nicht Spekulanten, welche das System missbrauchen und zu deren Komplizen sich unsere politischen Gegner machen.
Der 1. Mai ist Feiertag, Gedenktag und Tag der Solidarität. Er ist Gelegenheit zu kämpfen. Für eine andere Schweiz, für einen Weg zu mehr Gerechtigkeit. In diesem Sinne wünsche ich dir einen schönen 1. Mai.
Herzliche Grüsse
Christian Levrat: 1. Mai Ansprache 2011