Eine gute Zukunft mit Fairness und Solidarität ist realisierbar!

Rede zum 1. Mai 2010 von Hildegard Fässler, Nationalrätin.

Der 1. Mai, der Tag der Reden, der Tag der Forderungen für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer – die anderen 364 Tage dürfen wir nicht den Mächtigen und Reichen überlassen!
Der 1. Mai wird vielen Orten in der ganzen Schweiz gefeiert. Dieses Jahr unter dem Motto: „Arbeit, Lohn und Rente – statt Profit und Gier!“ Der 1. Mai wird aber auch weltweit gefeiert, heute bereits zum 120. Mal. Es wird geredet, getanzt, gesungen, gegessen, demonstriert in Umzügen, auf Plätzen, in Sälen. Die Inhalte der Reden und Forderungen drehen sich um Fairness, Gerechtigkeit, sozialen Ausgleich, Umverteilung, Solidarität, gute Arbeitsbedingungen, Rechte am Arbeitsplatz und Menschenrechte. Weil wir in der Schweiz und weltweit viele sind, die den 1. Mai feiern, werden wir zumindest heute gehört von den Medien. Das wollen wir nutzen.
Am 1. Mai wird viel geredet. Das reicht aber nicht. Das wissen wir. An den anderen 364 Tagen des Jahres müssen wir alle, jeder und jede an seinem und ihrem Platz dafür kämpfen, dass unsere Forderungen erfüllt werden. Es darf nicht sein, dass die anderen 364 Tage den Mächtigen und Reichen gehören.

Die Welt ist aus den Fugen – Sind wir noch zu retten?
Schaut man allein auf die letzten paar Wochen, so findet man jede Menge von Belegen dafür, dass die Welt aus den Fugen ist. Die meisten Katastrophen hat der Mensch selbst verursacht.
Umweltkatastrophen
Da verfährt sich ein chinesischer Frachter und läuft auf ein Riff vor der australischen Küste auf. Öl fliesst aus. Gefährdet ist mit dem Great Barrier Reef eines der letzten grossen Riffe mit Fischen und Korallen, die fast nur noch dort leben, leben können.
Im Golf von Mexiko explodiert eine Ölbohrinsel und versinkt. 11 Menschen kommen ums Leben. Auf 1500m unter dem Meeresspiegel fliesst Schweröl aus dem Bohrloch, wohl noch für Wochen. Dem Mississippi-Delta mit seiner einmaligen Pflanzen- und Tierwelt droht eine Ölpest. Die Plattform gehörte übrigens einer Schweizer Firma.
Auf Island bricht der Vulkan Eyjafjalla aus. Er schleudert eine riesige Aschewolke in den Himmel. Der Flugverkehr über Europa bricht zusammen. Die Fluggesellschaften erleiden millionenschwere Einbussen. Viele Exportfirmen klagen über Schäden, weil sie ihre Ware nicht fristgerecht liefern konnten oder geliefert bekamen.
Wirtschaftliche Katastrophen
Die Finanzkrise, ausgelöst durch Habgier, Inkompetenz und mangelnde Kontrolle schädigt die Wirtschaft in vielen Ländern. Die volkswirtschaftlichen Kosten werden von Experten mit 25% des BIP angegeben. Das sind für die Schweiz weit über 100 Mrd. Fr.
Griechenland nähert sich dem Bankrott. Davon betroffen ist selbstverständlich vor allem die Bevölkerung. Wenn der Staat seine Aufgaben nicht mehr finanzieren kann, sind es zuerst die Kleinen, deren Existenz mit gefährdet ist. Denn nur die Reichen können sich das, was der Staat an bietet, im schlimmsten Fall auch selber leisten.

Der 1. Mai – der Tag wider das Vergessen
Wir Menschen können mitfühlen, mitleiden, wütend werden, wir können aber auch verdrängen. Das ist nötig, denn sonst würde uns die Last der Katastrophen erdrücken. Aber wir dürfen nicht alles vergessen. Am 1. Mai müssen wir die Verantwortlichen an ihre Verantwortung erinnern.
Wer die Erde ausbeutet und das Öl bis auf den letzten Tropfen aus dem Boden holt, statt in erneuerbare Energien zu investieren, muss auch für die Sicherheit sowohl beim Fördern als auch beim Transport garantieren können. Kann er das nicht, so muss diesem Treiben Einhalt geboten werden. Es darf nicht sein, dass ständig die Natur zerstört wird, um mit Erdöl viel zu verdienen.
Wenn ein einziger Vulkan die halbe Welt zum Stillstand bringt und wirtschaftliche Verluste entstehen, so ist der richtige Schluss daraus nicht der Ruf nach Staatshilfe! Dann muss man sich doch überlegen, ob all die Flüge nötig sind. Regionale Versorgung statt Transporte rund um die Erde ist hier das Stichwort, über das nachgedacht werden muss.
Haben wir nur verdrängt oder schon vergessen, dass die Ratingagenturen, auch die grossen amerikanischen, mit Schuld sind am Aufblasen und am Platzen der Immobilienblase in den USA und damit an der weltweiten Finanzkrise? Es scheint fast so. Wie anders ist es möglich, dass ebendiese Versager statt besser kontrolliert oder noch besser verboten zu werden, nun die europäischen Länder bewerten? Wie können es diese Institute wagen, Griechenland, Spanien, Portugal die Kreditwürdigkeit herunterzustufen und in diesen Ländern für die Menschen noch schlechtere Zeiten herbeizureden? Und wie lernunfähig sind Investoren, die ihre Entscheide auf solche Ratings abstützen, de-ren Unfähigkeit offenkundig geworden ist?
Auch die falschen Lohnanreize und die Gier gewisser Spitzenmanager haben zur grössten Finanz- und Wirtschaftskrise seit ich denken kann, wesentlich beigetragen. Diese Manager haben schon vergessen, was sie oder ihre Vorgänger angerichtet haben und bedienen sich wieder in unverschämter Manier mit Höchstlöhnen und überrissenen Boni. 20, 30, 40 Mio. Fr. kann kein Mensch ernsthaft verdient haben. Und er soll auch nicht so viel bekommen. Denn niemand leistet so viel, dass er das 200-Fache oder gar das 500-Fache eines mittleren Schweizer Lohnes einstreichen darf. Das hat nichts mit Neid zu tun, sondern mit ökonomischer Vernunft.
Heute reden wir über diesen Wahnsinn, wie dies WORK, die Zeitung der UNIA in ihrer 1.Mai-Ausgabe nennt. Aber in den kommenden Tagen und Wochen werden wir dies nicht vergessen, sondern uns mit Taten dagegen wehren.

Der 1. Mai, der Tag, an dem geredet wird – ist Start für 364 Tage Einsatz zur Umsetzung der Forderungen
Wenn wir also am 1. Mai an die Katastrophen und an die Verantwortung der Verursa-cher erinnern, so reicht das nicht. Wir stellen klare Forderungen auf und bieten Lösun-gen an.
Unsere Forderungen am 1. Mai 2010 sind einfach, fair, tragbar, finanzierbar:
Wir wollen Arbeit für alle. Wir wollen einen anständigen Lohn für alle Erwerbstäti-gen. Wir wollen eine sichere Rente für alle. Für alle, die nicht erwerbstätig sind, sei dies wegen ihres Alters, wegen einer Behinderung, aus Krankheitsgründen oder wegen Arbeitslosigkeit.
Kolleginnen und Kollegen, das ist nicht zu viel verlangt! Das ist das absolute Minimum! Wenn der Staat eine Bank mit zig Mrd. Fr. retten kann, dann kann und muss er auch für sichere Renten sorgen. Der Bundesrat setzt viel Energie ein, um Schaden von der UBS in den USA abzuwenden. Ein Schaden, den geldgierige UBS-Leute in den USA mit kriminellen Machenschaften übrigens selbst angerichtet haben. Unser Finanzminister beschäftigt ein Heer von Juristen, die die Dossiers von UBS-Kunden nach Steuerhinter-ziehung überprüfen. Mindestens gleich viel Energie und Personal sollte der Bundesrat in die Lohn- und Rentensicherheit stecken. Statt Sozialdetektive gegen kleine Leute einzusetzen, wäre es angebracht, den Sozialschmarotzern mit dem ganz grossen Por-temonnaie an den Kragen zu gehen und Steuerhinterziehern und Steuerprivilegien-Verteidigern den Kampf anzusagen.
Aber nein, der Bundesrat schlägt uns lieber eine Revision der Arbeitslosenversicherung vor, die einen Leistungsabbau vor allem auf Kosten der jungen Menschen und der älteren Langzeitarbeitslosen vorsieht, ohne die Bestverdienden stärker zur Finanzierung heranzuziehen. Denen lässt er lieber ihre privaten Kapitalgewinne! Und die bürgerlichen National- und Ständeräte machen Verständnis heuchelnd mit. Wir sagen es heute: Wir wollen anständige Renten und wir sammeln deshalb Unterschriften für das Referendum. Ich zähle auf euch!
Dass wir uns die Renten nicht klauen lassen, hat die Stimmbevölkerung am 7. März 2010 eindrücklich bestätigt. Mit einem wuchtigen Nein von 72.7%.
Gute Löhne für alle sind durchaus finanzierbar. Die Jusos haben mit ihrer Initiative den richtigen Ansatz gefunden. Ihre 1:12-Initiative verlangt ganz einfach, dass der Chef im Monat höchstens so viel verdient, wie seine Angestellten mit dem niedrigsten Lohn im Jahr. Das ist leicht verständlich, klar – und fair und solidarisch. Steigt nämlich der Chef-Lohn, so steigen auch die untersten Löhne und damit eigentlich alle. Steigt anderseits der unterste Lohn, so darf sich auch der Chef entsprechend mehr auszahlen. Lohnexzesse sind so ausgeschlossen und in den meisten KMU ändert sich sowieso nichts, denn bei denen stimmt das Verhältnis 1:12 heute schon.
Mit der Abzocker-Initiative und dem direkten Gegenvorschlag bringen wir etwas mehr Mitsprache in die Aktionärsversammlungen jener Unternehmen, die an der Börse sind. Dass ausgerechnet die SVP dem Volk eine Abstimmung darüber vorenthalten will, zeigt deren Widersprüchlichkeit. Das Volk soll nur etwas zu sagen haben, wenn es der selbsternannten Volkspartei passt. Da machen wir nicht mit und geben den Stimmberechtigten das entscheidende Wort. Gegen die grossen Abzocker bringt aber nur die 1:12-Initiative der Jusos tatsächlich etwas. Sie sorgt dafür, dass die Schere der Einkommen endlich wieder zugeht.
Wer voll arbeitet, soll davon leben können. Ich bin daher froh, dass sowohl die SP als auch die Gewerkschaften die Frage der Mindestlöhne aufs Tapet bringen. Wenn wir gemeinsam für eine Volksinitiative eintreten, stehen die Chancen nicht schlecht, eine Mehrheit dafür zu gewinnen.
Und wie steht es mit den Arbeitsplätzen?
Wir brauchen neue Arbeitsplätze und die Arbeit dafür existiert. Mit der Cleantech-Initiative können tausende von Arbeitsplätzen geschaffen werden, die eine zukunftsgerichtete Arbeit anbieten. Wir müssen weg kommen vom Öl, nicht nur weil uns dies aus-gehen wird oder weil wir bei der Förderung und dem Transport ständig neue Umweltkatastrophen produzieren. Nein, auch weil die Schweiz total vom Ausland abhängig ist. Echte Patrioten und Patriotinnen trauen daher der Erdöl-Lobby nicht und auch nicht der Atom-Lobby – wir haben ja auch kein eigenes Uran -, echte Patriotinnen und Patrioten bauen auf Unabhängigkeit auch in der Energie-Erzeugung. Sonne gibt es selbst in un-serem Land genügend, auch Wind bläst in gewissen Gegenden so, dass er sich renta-bel nutzen lässt. Packen wir die Chance für neue Arbeitsplätze dank der Cleantech-Initiative.
Der VPOD und KiTaS (Verband der Kindertagesstätten in der Schweiz) haben eine Petition eingereicht, die für die familienergänzende Kinderbetreuung jährlich 1% des BIP verlangt. Als Vergleich: Das ist weniger als die von UBS und CS ausgeschütteten Boni im Krisenjahr 2009! Kitas schaffen Arbeitsplätze, ermöglichen es allen Eltern so viel zu arbeiten, wie sie es für ihre Familie richtig halten und verbessern die Startchancen der betreuten Kinder. Wird die Petition umgesetzt – der Bundesrat lehnt dies zwar noch ab -, so können wir zusammen mit dem VPOD auch dafür sorgen, dass die Betreuerinnen und Betreuer ein Lohn bekommen, der ihrer Verantwortung gerecht wird. Wer täglich ein Dutzend Kleinkinder betreut, ihnen Lebenschancen eröffnet und ihnen eigenes Ler-nen ermöglicht, trägt wohl mehr Verantwortung als ein Hedgefondsmanager, der seinen Kunden ohne Haftung Ramschpapiere andreht.

Die Welt ist aus den Fugen – wir kämpfen für eine neue Ordnung!
Neben dem Einsatz für faire Löhne und Renten, sowie dem Erhalt und der Schaffung von Arbeitsplätzen habe ich zwei Visionen:
– Mehr Anstand und
– Umverteilung von Macht und Geld.
Mehr Anstand heisst Entscheide fällen aufgrund von gemeinsamen Werten!

Wir sind an einem Wendepunkt der Geschichte. Noch besteht die Chance auf eine echte Wende, nicht nur auf das Warten, dass alles wieder so wird, wie es vor der Krise war.

  • Moral ist kein Luxus sondern die Basis einer gerechten sozialen Marktwirtschaft. Moral gehört zum Betriebskapital für jedes Unternehmen genauso wie Ethik und ein geschärfter Gerechtigkeitssinn.
  • Ethik als Studienfach ist kein Anhängsel, ethisches Verhalten ist eine Kernkompetenz, auch für alle Betriebs- und VolkswirtschafterInnen.
  • Der Staat ist zu stärken, nicht zu schwächen. In Krisensituationen ist er der letzte Anker und ein guter Service public ist nicht gratis zu haben. Neoliberale Ideolo-gen haben in Entscheidgremien keinen Platz mehr, weder beim Staat noch in den Unternehmen.
  • Das reine Renditedenken ist in die Mottenkiste der neoliberalen Vergangenheit zu verbannen. Der Rendite darf nicht jede Fairness und Kontrolle geopfert we-den. Bescheidenheit ist und bleibt eine Zier. Zudem ist die Rendite gerecht zu verteilen, an alle, nicht nur an die Chefetage.
  • Steuerhinterzieher dürfen weder im Ausland noch im Inland durch das Bankgeheimnis geschützt werden. Steuerschwarzgeld zu horten, ist keine Basis für ei-nen gesunden Finanzplatz.

Umverteilung führt zu mehr sozialem Frieden
Viele Studien zeigen: Je geringer die Einkommens- und Vermögensunterschiede in einer Gesellschaft sind, desto grösser ist der soziale Friede. Es werden keine Sündenböcke gesucht, die Toleranz gegenüber anderen ist grösser. Die Solidarität auch mit den Menschen in anderen Ländern ist stärker. Auch jene, die etwas abgeben müssen, profitieren am Ende.
Dasselbe gilt, wenn mehr Menschen in mehr Bereichen mitreden können. Daher ist ein weltweiter Einsatz für mehr Demokratie und ein schweizweiter Kampf für mehr Mitsprache in der Wirtschaft nötig und er lohnt sich für alle.

Hopp Schwiiz!
Zuletzt noch ein Wort an alle Fussballfreundinnen und -freunde: Ich freue mich auf die Fussball-WM in Südafrika und drücke der Schweizer Mannschaft die Daumen. Aber wir müssen auch genau hinschauen, was dort rund um die Fussballplätze geschieht. Daher bin ich froh, dass das SAH eine Kampagne lanciert hat und unter Leitung von Hans-Jürg Fehr vor Ort auf Missstände aufmerksam machen will und zur Verbesserung der Situation beitragen möchte. In einer Petition fordert das SAH, dass die FIFA für anständige Arbeitsbedingungen und Löhne sorgt, dort, wo sie ihre WM durchführt. Es kann nicht sein, dass die FIFA Milliarden einsteckt und Hungerlöhne akzeptiert.

In diesem Sinne: Hopp Schwiiz!
Wir wollen mehr Fairness und mehr Solidarität; ich zähle auf euch.

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