Vier Vorstösse von Hans-Jürg Fehr:
1. Interpellation Atommüll:
Ich bitte den Bundesrat um Antwort auf folgende Fragen:
- Führen der Bundesrat oder Schweizer Verwaltungsstellen mit einem oder mehreren unserer Nachbarstaaten Gespräche über die gemeinsame Nutzung von zukünftigen Atommüll-Endlagern auf Schweizer Territorium?
- Wird die gemeinsame Nutzung von Atommüll-Endlagern auf Schweizer Gebiet im Rahmen der Verhandlungen mit Deutschland über den Fluglärm thematisiert, d.h. als Teil einer „Paketlösung“ besprochen?
- Wie erklärt sich der Bundesrat, dass ausgerechnet der Ministerpräsident von Baden-Württemberg und zukünftige EU-Kommissar, Günther Oettinger, vor dem Europaparlament gesagt hat, man sondiere die Möglichkeit der gemeinsamen Nutzung eines allfälligen Atommüll-Endlagers im Zürcher Weinland?
- Deuten die Aussagen von Günther Oettinger darauf hin, dass das Problem der Entsorgung von hochradioaktiven Abfällen nicht mehr ausschliesslich innerhalb der Landesgrenzen gelöst werden muss, sondern vermehrt internationale Lösungen gesucht werden? Gibt es solche Bestrebungen in der EU?
Begründung
Günther Oettinger, Ministerpräsident des deutschen Bundeslandes Baden-Württemberg und designierter EU-Kommissar, hat anlässlich seiner Anhörung vor dem Europaparlament am 15. Januar 2010 höchst erstaunliche Aussagen gemacht. Er sagte, dass man die Möglichkeit sondiere, das geplante Atommüll-Endlager im Zürcher Weinland gemeinsam mit der Schweiz zu nutzen. Er liess auch keinen Zweifel, dass er eine solche grenzüberschreitende „Lösung“ begrüssen würde. Natürlich wurden diese spektakulären Äusserungen einen Tag später dementiert, aber weil Oettinger ohne Zweifel als MP des Bundeslandes Baden-Württemberg beste Kontakte hat in die Schweiz hinein und auch direkt involviert ist in die Verhandlungen über den Fluglärm, ist schwer vorstellbar, dass seine Aussagen zum Atommüll-Lager aus der Luft gegriffen sind. Es besteht daher in der grenznahen Bevölkerung eine erhebliche Verunsicherung.
2. Interpellation Bahnverbindung Zürich-Stuttgart:
Ich bitte den Bundesrat um Antworten auf folgende Fragen:
- Ist er nicht auch der Meinung, dass die Entwicklung auf der Bahnverbindung Zürich-Stuttgart das Gegenteil von dem ist, was er 1996 mit Deutschland bezüglich NEAT-Zulauf vereinbart hat und was in Art. 1 des Gesetzes zum Anschluss der Schweiz an das europäische Hochgeschwindigkeits-Eisenbahnnetz verbindlich festgelegt wurde?
- Wieso lässt er zu, dass die beteiligten Bahnen derart gegen eine zwischenstaatliche Vereinbarung verstossen?
- Was hat der Bundesrat in den letzten zwei Jahren unternommen, um der in jeder Beziehung negativen Entwicklung Einhalt zu gebieten?
- Was gedenkt der Bundesrat zu tun, damit die Missstände unverzüglich beseitigt werden und ein Bahnbetrieb angeboten wird, der den Standards des internationalen Fernverkehrs entspricht und dem HGV-Gesetz Nachachtung verschafft?
Begründung
In der deutsch-schweizerischen Vereinbarung über die NEAT-Zufahrtstrecken von 1996 wird zwischen den beiden Metropolitanräumen Zürich und Stuttgart eine Fahrzeit der Bahn von 2 ¼ Stunden angestrebt. Im HGV-Gesetz ist dieser Zielwert explizit verankert worden. Seit der Unterzeichnung dieser Vereinbarung und der Inkraftsetzung des Gesetzes hat sich die Fahrzeit allerdings nicht verkürzt, sondern verlängert und beträgt bald mehr als drei Stunden! Zudem ist der Fahrbetrieb gekennzeichnet durch eine Reihe von chronischen Mängeln: Ständige Verspätungen bis zu einer halben Stunde, Anschlussbrüche in Zürich und Stuttgart, technische Probleme bei den Fahrzeugen, Ausserkraftsetzung der Neigetechnik, Notfahrpläne, ungenügendes Reservationssystem. Als Folge davon sinken die Passagierzahlen und verschlechtert sich die Wirtschaftlichkeit. Was die beteiligten Bahnbetriebe auf dieser internationalen Strecke seit Jahren anbieten, ist das Gegenteil einer attraktiven Fernverkehrsverbindung. Am 21. März 2010 werden SBB-Züge diejenigen der Deutschen Bahn ersetzen. Das geschieht allerdings mit Zugskompositionen tun, die an der Landesgrenze einen Lokwechsel nötig machen, was die Fahrzeit noch einmal verlängert. Die Bevölkerung hat genug von diesen gesetzeswidrigen Zuständen
3. Interpellation SDA:
Mit der Schliessung des Schweizer Büros von Associated Press (AP) entsteht auf dem Medienmarkt ein privates Monopol: Die Schweizerische Depeschenagentur (SDA) wird in Zukunft die einzige Anbieterin von Nachrichten über unser Land sein, die von Zeitungen abonniert werden können. Daraus ergeben sich folgende Fragen:
- Wie beurteilt der Bundesrat die entstandene Monopolsituation?
- Zieht er Konsequenzen hinsichtlich der im Gang befindlichen Verhandlungen über einen neuen Leistungsvertrag zwischen Bund und SDA?
- Private Monopole sind in einer Marktwirtschaft prinzipiell unerwünscht: Ist der Bundesrat bereit zu prüfen, ob aus der SDA ein Element des publizistischen Service public in der Schweiz gemacht werden sollte, beispielsweise durch ihre Umwandlung in ein öffentlich-rechtliches Unternehmen mit staatlicher Konzession?
Begründung
Mit der Schliessung der AP-Filiale macht die Monopolisierung auf dem Schweizer Zeitungsmarkt einen weiteren, grossen Schritt. Die Tatsache, dass es nur noch eine inländische Nachrichtenagentur gibt, darf nicht so ohne weiteres hingenommen werden. Dies umso mehr, als die SDA jenen Verlagen gehört, die in ihrem jeweiligen Marktgebiet ebenfalls eine monopolähnliche Position einnehmen. Es braucht eine Lagebeurteilung durch den Bundesrat. Da die bestehende Leistungsvereinbarung zwischen Bund und SDA auf Ende 2010 ausläuft und gegenwärtig eine neue verhandelt wird, stellt sich zudem die Frage, ob die Beziehung Bund-SDA wegen des entstandenen Monopols nicht grundsätzlich überprüft werden sollte. Der Bundesrat lässt gegenwärtig einen Bericht zur Lage der Presse in der Schweiz erarbeiten. Es wäre angebracht, in diesem Bericht auch das Thema Agentur-Monopol zu behandeln und im Hinblick auf die Zukunft Überlegungen anzustellen, ob und wie die SDA in ein Unternehmen des publizistischen Service public umgewandelt und mit einem erweiterten Leistungsauftrag versehen werden könnte.
4. Parlamentarische Initiative: Städte in den Ständerat:
Gestützt auf Artikel 107 des Parlamentsgesetzes reiche ich im Sinne einer allgemeinen Anregung folgende Parlamentarische Initiative ein :
Die Bundesverfassung räumt den Städten mit mehr als 100‘000 Einwohnerinnen und Einwohnern den Status eines Halbkantons ein. Das bedeutet konkret
- dass diesen grossen Städten je ein Sitz im Ständerat zusteht;
- dass sie bei der Ermittlung des Ständemehrs bei Volksabstimmungen als halbe Standesstimme gezählt werden;
- dass ihnen das Recht auf Einreichung einer Standesinitiative zusteht und
- dass sie zusammen mit anderen Kantonen das Referendumsrecht gemäss BV Art. 141 ausüben können.
Begründung
Der schweizerische Föderalismus spiegelt nicht die demografischen und politischen Konstellationen zu Beginn des 21. Jahrhunderts, sondern jene in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts. Verteilte sich damals die Bevölkerung ungefähr gleichmässig auf die ländliche und die städtische Schweiz, ist das heute ganz anders: In den zehn kleinsten Kantonen leben nur halb so viele Menschen wie in den zehn grössten Städten. Auch die politische Konstellation hat sich grundlegend geändert: War es nach dem Sonderbundskrieg und der Gründung des liberalen Bundesstaates für die junge Schweiz existenziell wichtig, die „Verliererkantone“ mit einem ausgeprägten Minderheitenschutz einzubinden, ist dieser Zusammenhang heute bedeutungslos geworden.
Die zehn kleinsten Kantone belegen im Ständerat 16 Sitze, die zehn grössten Städte dagegen keinen einzigen. Das politische Gewicht der kleinen Kantone ist zu gross, dasjenige der grossen Städte zu klein. Es braucht eine Reform des Föderalismus, die den heutigen und vor allem auch den zukünftigen Gegebenheiten besser Rechnung trägt. Das geschieht am besten dadurch, dass man niemandem etwas wegnimmt, sondern den grossen Städten das gibt, was die kleinen Kantone schon lange haben.