Herbstsession 2021 des Nationalrats

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Die Herbstsession wurde von bedenklichen Umständen überschattet: Die wollten das Bundeshaus stürmen. Die Bewegung weist extremistische Züge auf und ist bereit, Grundwerte unserer Demokratie zu sabotieren. Ein hoher Zaun riegelte tageweise das Bundeshaus vom Bundesplatz ab. Mehrmals konnten wir nur durch einen Spalier von schwerbewaffneten PolizistInnen ins Bundeshaus gelangen. Als wäre das nicht genug, verbrüderte sich Bundesrat Ueli Maurer mit den Aufwieglern. Ungeheuerlich. Um aus der Pandemie zu kommen, müssen wir solidarisch sein und an einem Strang ziehen. Nur die SVP scheint kein Interesse daran zu haben und hat die Massnahmengegner als Klientel für sich entdeckt. Dafür nimmt sie die Destabilisierung des Landes im vollen Bewusstsein in Kauf.


Rüstungsexport in Bürgerkriegsländer wird gestoppt
Auf Drängen der Rüstungsindustrie hat der Bundesrat 2018 Waffenexporte in Bürgerkriegs- länder zugelassen. Darauf wurde die Korrekturinitiative ergriffen. Kriegsmaterial soll nicht in Länder exportiert werden, die in Bürgerkriege verwickelt sind und Menschenrechte schwerwiegend verletzen. Schweizer Waffen in Kriegsgebieten wie Jemen sind nicht tole- rierbar. Der indirekte Gegenvorschlag des Parlaments nahm das Anliegen zwar auf, gestand dem Bundesrat aber eine Ausnahmeregelung zu. Der Ständerat strich diesen Schlupfloch- Artikel. Doch die nationalrätliche Kommission öffnete diese Hintertüre wieder auf Druck der Rüstungsindustrie. Im Plenum des Nationalrats erreichten wir dennoch einen unerwarteten Erfolg. Mit dem knappen Entscheid für eine strikte Umsetzung gelten strenge Ausfuhrkrite- rien, die nur durch das Parlament geändert werden können; ein Meilenstein für die Glaub- würdigkeit der Schweizer Friedenspolitik. Die Rüstungsindustrie ist sich eine solche Klatsche nicht gewohnt, trotzdem wird sie kaum das Referendum ergreifen.

Schweizer Kulturgut fördern gegen Widerstand der SVP
Streaminganbieter wie Netflix und Amazon, sowie TV-Stationen müssen künftig vier Prozent ihres Schweizer Umsatzes in Schweizer Filmproduktionen investieren. Heute verdienen ausländische Anbieter hunderte von Millionen Franken auf dem Schweizer Markt, die vollständig ins Ausland abfliessen. Neu soll ein kleiner Teil des Geldes in das Schweizer Filmschaffen investiert werden. Damit können Filme wie die «Göttliche Ordnung» und auf die Schweiz angepasste Serien produziert werden. Damit werden kulturelle Werte und Eigenheiten der Schweiz als Teil unserer Identifikation vermittelt. Diese Investition in Swissness wird aber gerade von der Partei geschlossen bekämpft, die das Schweizerkreuz sonst bei jeder Gele- genheit hochhält. Ein Blick auf unsere Nachbarstaaten zeigt, dass auch diese eine Abgabe erheben. Einige bürgerliche Jungparteien drohen mit dem Referendum. Sie befürchten eine Erhöhung der Abonnementskosten, die vor allen die Jungen treffen würde.


Plünderung der Staatskasse
Die Schweiz schafft sämtliche Zölle auf Industrieprodukten ab, dies als Beitrag gegen die Hochpreisinsel. Doch auf die Konsumentenpreise hat dies nur gerade einen Einfluss von 0.1 Prozent, also gleich Null. Was bleibt, sind Einnahmeausfälle von über einer halben Milliarde. Die Vorlage kostet viel und bringt wenig. Zudem steigt auch der Druck auf Zölle von Land- wirtschaftsprodukten, die zum Schutz der einheimischen Produktion wichtig sind. Eine bür- gerliche Steuersenkung jagt die Nächste. Auch die Teilabschaffung der Verrechnungssteuer zur Stärkung des Fremdkapitalmarktes ist ein Raubzug auf die Staatskasse und eine Einla- dung zur Steuerhinterziehung. Auf Zinsen von Obligationen soll keine Verrechnungssteuer mehr erhoben werden. Die Vorlage bestraft die Ehrlichen und belohnt jene mit krimineller Energie. Kostenpunkt: Steuerausfälle von einer Milliarde Franken einmalig und 170 Millionen wiederkehrend. Das ist Salamitaktik: Fast jedes Jahr wird eine Steuersenkung für den Ka- pitalmarkt durchgeboxt. In der Regel sind die Vorlagen für sich betrachtet zu technisch und zu wenig einschneidend, um das Referendum zu ergreifen. Die Stempelsteuer bildet eine Ausnahme. Das Referendum, das kürzlich eingereicht wurde, hatte bereits präventive Wir- kung. Die zweite Tranche der Abschaffung der Stempelsteuer wurde einstimmig versenkt.

Alpen-OPEC lässt sich vom Bund das Wasser vergolden
Mit der Vorlage «Erneuerbare Energie einheitlich fördern» wird die Blockade beim Zubau von erneu- erbaren Energien gelöst. Die kostenorientierte Einspeisevergütung KEV läuft 2022 aus, sie wird neu durch einmalige Investitionsbeiträge ersetzt. Neu kann endlich auch Fotovoltaik ohne Eigenverbrauch im grossen Stil gefördert werden. Allerdings wurde eine Überförderung der Wasserkraft durch Wasserlobbyisten wie Rösti (SVP) und Roduit (Mitte) durchgedrückt. Mein Antrag, die Förderung der Kleinwasserkraft wenigstens an die Einhaltung der Gewäs- serschutzbestimmungen zu knüpfen, scheiterte. In der Schweiz werden 94 Prozent der Fliessgewässer genutzt. Der ökologische Schaden durch neue Kleinwasserkraftwerke ist gross, ihr Beitrag für den fehlenden Winterstrom aber gering. Der Peak der Wasserkraft ist fast zeitgleich mit den PV-Anlagen. Damit der Zubau von PV vorwärts gehen kann, mussten wir also eine dicke Kröte schlucken.


Keine Gentechnik durch die Hintertüre
Das Anbaumoratorium für gentechnisch veränderte Pflanzen wurde 2005 erkämpft. Dieses wird nun zum vierten Mal verlängert, die Forschung oder medizinische Anwendungen sind davon nicht betroffen. Noch immer wollen Konsumentinnen und Konsumenten keine Gentechnik auf dem Teller. Auch die Landwirtschaft unterstützt bis heute konsequent die Qua- litätsstrategie, die ohne Gentechnik produziert. Doch der Widerstand bröckelt. Die neuen Verfahren versprechen mit der Genschere Crispr-Cas präzisere Eingriffe ins Erbgut. FDP und GLP wollen das Genomediting nicht dem Gentechnikgesetz unterstellen. Doch auch die Gen- schere greift ins Erbgut ein und ist damit Gentechnik. Das Versprechen, weltweit das Ernäh- rungsproblem zu lösen und auch den Pestizideinsatz zur reduzieren, konnte schon die alte Gentechnik nicht einlösen. Gentechnik trägt zum Mehrverbrauch von Pestiziden bei und treibt die Länder des globalen Südens in die Abhängigkeit der Agrarkonzerne. Noch steht die Landwirtschaft zu einer gentechfreien Produktion. Das Moratorium wurde mit grossem Mehr verlängert. Doch die konzerntreue Wissenschaft rüttelt am Anbauverbot.


Und wieder ist das Gewässerschutzgesetz auf der Kippe
Das Gewässerschutzgesetz wurde auf Druck der Volksinitiative «Lebendige Wasser» revi- diert. Seither wurde es bereits zweimal abgeschwächt, um den Bedürfnissen der Landwirt- schaft entgegenzukommen. Die Kantone müssten die Gewässerräume seit 2018 ausgeschie- den haben, sind aber im Verzug. Nun verlangte eine Motion die fundamentale Aufweichung des Gesetzes. Die Argumente bezüglich Biodiversität und Hochwasserschutz wurden von der vorberatenden Kommission in den Wind geschlagen. Einer Handvoll Landwirten ist es gelun- gen, ihre Situation so zu dramatisieren, dass sie mehr Gehör fanden als die Kantone. Diese wollten keine Änderung der Spielregeln während dem Spiel, denn viele haben bereits Mass- nahmen eingeleitet. Der Natur würden durch die Motion bis zu drei Viertel der Gewässer- raumfläche verloren gehen. Ein enormer Verlust für die Artenvielfalt und nur ein kleiner Gewinn für die Landwirtschaft von ein bis zwei Prozent. Zudem entschädigt der Bund die Ertragsausfälle mit 200 Millionen Franken. Mit viel Überzeugungsarbeit und einigen Abweich- lern der FDP und der Mitte konnte der Gewässerschutzartikel gerettet werden.


Ohne Kohäsionszahlung kein Horizon Europe
Der Ständerat setzte die Behandlung der Kohäsionsmilliarde in der Herbstsession so spät an, dass das Geschäft vom Nationalrat nicht mehr hätte behandelt werden können. Die geplante Zahlung von 1.3 Milliarden Franken hätte sich damit bis nächstes Jahr verzögert. Die Auszahlung steht im Zusammenhang mit Horizon Europe. Seit dem Abbruch der Ver- handlungen zum Rahmenabkommen, ist die Schweiz nicht mehr assoziiertes Mitglied. Das europäische Forschungsprogramm ist die Champions League der Wissenschaft. Jede Zeit- verzögerung bringt riesige Nachteile für den Standort Schweiz. Grossbritannien hat es ge- schafft, trotz Brexit in Horizon assoziiert zu bleiben. Ohne Zahlung der Kohäsionsmilliarde werden mit der Schweiz nicht einmal Gespräche geführt. Mit einem Ordnungsantrag und einer Nachtsitzung gelang es uns, die Kohäsionsgelder am letzten Sessionstag doch noch freizugeben. Damit werden die Gespräche zu Horizon Europe erst möglich.


Hallau, 3.10.2021, Martina Munz, Nationalrätin/ www.martinamunz.ch

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