Zur Revisionsdebatte Sexualstrafrecht

Von Urs Tanner – Als klarer Freund der Gewaltentrennung war ich doch etwas erstaunt über die Ansichten des 1. Staatsanwalts über die Revision des Sexualstrafrechts.
Wenn das alte Strafrecht ein Erfolg gewesen wäre, könnte man ja sich zurücklehnen und weiter kuschelig philosophieren.

Leider sprechen aber die Zahlen Bände: eine Katastrophe.

Mehr als jede zweite Teilnehmerin hatte bereits ungewollte Berührungen, Küsse und Umarmungen erlebt, 22 % der Frauen gar ungewollte sexuelle Handlungen. Ganze 12 % der Frauen hatten bereits Sex gegen ihren Willen. Jedoch meldeten nur 10 % der Betroffenen, welche sexuelle Handlungen gegen ihren Willen erlebt hatten, den Vorfall auch bei der Polizei und nur 8 % erstatteten schliesslich Anzeige.

Einvernehmlicher Sex ist doch wunderbar und anzustreben!

Ich versteh die Angst vor dem Konsensprinzip, dem Ja ist Ja nicht!

Der oft angebrachte Einwand, die «Nur-Ja-heisst-Ja»-Regel führe zu einer Umkehr der Beweislast, ist unbegründet. Die Unschuldsvermutung gilt weiter. Das Konzept der Zustimmung führt nur dann zu einer Bestrafung, wenn das Gericht es für erwiesen hält, dass sich die beschuldige Person mit Vorsatz über den Willen des Opfers hinweggesetzt hat. Es gehört zum Alltag der Strafverfolgungsbehörden, Aussagen auf ihre Glaubhaftigkeit zu prüfen. Eine schwierige Beweislage wirkt sich zudem aufgrund der Unschuldsvermutung – in dubio pro reo – zu Gunsten der beschuldigten Person aus. Die von der Zivilgesellschaft geforderte Strafrechtsreform rückt die Kommunikation der Beteiligten und die Frage der Einwilligung ins Zentrum, während sie die als schuldzuweisend empfundenen Fragen – welche Flucht- oder Abwehrmöglichkeiten das Opfer hatte und welchen Widerstand es effektiv geleistet hat – aus dem Fokus nimmt.

Obwohl die Beweisschwierigkeiten bei Sexualdelikten damit nicht aus der Welt geschaffen werden können, würde die neue Regel zumindest neue Möglichkeiten schaffen, um Verbrechen zu verurteilen.
Es ist deshalb unabdingbar, dass die Bundesverwaltung eine Definition von Vergewaltigung vorsieht, die geschlechtsneutral ist und auf fehlender Einwilligung beruht. Zudem muss sie sicherstellen, dass diese Definition jedes nicht einverständliche, sexuell bestimmte vaginale, anale oder orale Eindringen in den Körper einer anderen Person mit einem Körperteil oder Gegenstand ausdrücklich einschliesst. Nur so erfüllt die Schweiz ihre menschenrechtlichen Verpflichtungen.
Zwar vermag das Strafrecht allein die Problematik sexueller Gewalt nicht zu lösen, jedoch kann der Staat anhand eines zeitgemässen Sexualstrafrechts der Gesellschaft seine Bereitschaft signalisieren, Opfer von Sexualstraftaten besser zu schützen.
Urs Tanner, SH

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