Herbstsession 2020 des Nationalrats

 Hallau, 26.9.2020, Martina Munz, Nationalrätin/ www.martinamunz.ch

Das friedliche Klima-Camp auf dem Bundesplatz führte zu einem medialen Hype. Die Empörung über den zivilen Ungehorsam der Klimajungend war gross. Dabei ging fast unter, dass unserer Generation gerade daran ist, unseren Planeten unwiderruflich zu zerstören. Die Klimastreikenden haben schon einmal bewiesen, dass sie die Politik mit ihren Anliegen errei-chen und ein Umdenken bewirken können. Es stellt sich die Frage, welche Tat schwerer wiegt, der zivile Ungehorsam oder die Zerstörung des Planeten? 

SP forderte Solidarität statt Massenarbeitslosigkeit und Massenkonkurse 

Unzähligen Mails warnten uns vor dem Covid-Gesetz. Der Bundesrat bekomme uneingeschränkte Macht. Auch Teile der SVP warfen dem Bundesrat vor, das Volk zu gängeln, Versammlungs- und Wirtschaftsfreiheit unnötig einzuschränken. Das Gesetz ist nötig, denn das Notrecht läuft aus. Die Macht des Bundesrats wird durch das Gesetz nicht ausgebaut, sondern eingeschränkt. Es war der SP, die auf Erwerbsentschädigung des Kleingewerbes, der Selbständigen und Geschäftsinhaber pochte, um Massenarbeitslosigkeit und Massenkonkurse zu verhindern. Jetzt auf Selbstverantwortung zu setzen und keine Unterstützung anzubieten, genügt nicht. Bei vielen Bürgerlichen dauerte es lange bis ein Umdenken stattfand. Die Härtefallregelung für Schausteller, Reisebüros und Veranstalter ist für das Überleben der «vergessenen» Branchen entscheidend. Auch für indirekt Betroffene, die mit massiven Er-werbsausfällen kämpfen und für Personen auf Abruf konnten wir ein Erwerbsersatz erwirken. 

Mehr US-Blabla statt Swissness auf Netflix 

Kultur ist ein wichtiges gesellschaftliches Gut und ist auch wirtschaftlich ein bedeutender Zweig. Die Kreativwirtschaft trägt sieben Prozent zum Bruttoinlandprodukt bei. Mit der Kulturbotschaft werden jährliche Beiträge von 240 Millionen Franken für das vielfältige Kulturschaffen gesichert, von Museen über „Jugend und Musik“ bis hin zum Sprachenzusammenhalt. Mit der Kulturbotschaft wurde auch das Filmgesetz revidiert. Streaming-Giganten wie Netflix werden neu zur Kasse gebeten. Statt wie vorgesehen vier Prozent ihrer Einnahmen abzuschöpfen und in das Schweizer Filmschaffen zu investieren, hat das bürgerliche Lager den Anteil auf ein Prozent reduziert. Damit können kaum künstlerisch wertvolle Schweizer Filme und spannende Serien gefördert werden. Stattdessen fliessen jetzt Millionen von Schweizer Netflix-Gebühren in amerikanische Serien. 

Nationalrat für mehr Mitsprache von Jugendlichen 

Der Nationalrat hat sich für das Stimmrechtsalter 16 ausgesprochen, eine Sensation! Junge Menschen zwischen 16- und 17-Jährige wollen mitsprechen, das weiss ich als Berufsschullehrerin. Durch ein früheres Stimmrecht können Jugendliche zudem während ihrer Ausbildung besser zur politischen Teilnahme angeleitet werden. Ihre Meinung direkt an der Urne auszudrücken, würde das Interesse an politischer Bildung sicher steigern. Das Stimmrechtsalter 16 ist auch gerechtfertigt, denn wegen der Demografie nimmt die Anzahl der älteren Stimmberechtigten laufend zu. Der Ständerat wird vermutlich Spielverderber sein und dem Anliegen eine Abfuhr erteilen. Doch der Nationalrat hat Offenheit für das Anliegen bewiesen. Das Abstimmungsresultat wurde im Saal mit freudigem Applaus quittiert. Der erste Schritt ist getan! 

Gefährlicher Angriff auf die Unabhängigkeit der Justiz 

Bundesrichter Donzallaz sollte nicht wiedergewählt werden. Der SVP Richter hatte für seine Partei unliebsame Entscheide gefällt, dafür sollte er abgestraft werden. Kürzlich versuchte auch die Zürcher SVP ihre Richterinnen und Richter mit einer Ehrencharta zu disziplinieren. Diese Missachtung der Gewaltentrennung ist von historischer Dimension und zeigt wie radi-kal die Partei geworden ist. Bereits mit der Durchsetzungsinitiative versuchte die SVP, den Richterinnen und Richtern ihren Ermessensspielraum zu nehmen und ihnen die Urteile aufzuzwingen. Immerhin musste Donzallaz nicht um seine Wiederwahl bangen. Die Unterstüt-zung der anderen Parteien war ihm sicher. Die SVP erlebte eine krachende Niederlage.

Prioritäres Ziel: Individualbesteuerung und besser Vereinbarkeit 

Die SP konnte wichtige Anliegen im Legislaturprogramm verbindlich einbringen. Beim Kli-maschutz müssen Ziele für den Finanzplatz konkretisiert werden, mit der Umsetzung der Istanbul-Konvention wird die Gewalt an Frauen angegangen und mit Erasmus+ und Creative Europe will die Schweiz mehr europäische Mobilität im Bereich Bildung und Kultur. Als wichtiger Meilenstein für die Gleichstellung muss eine Vorlage zur Individualbesteuerung, sowie eine nationale Strategie zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf ausgearbeitet werden. Das neue Legislaturprogramm setzt wichtige Akzente, von denen wir in der letzten Legislatur nicht zu träumen gewagt hätten. 

Turbulenter Weg: das CO2-Gesetz muss noch vors Volk 

Nach 3 Jahren Beratung ist CO2-Gesetz ist auf der Zielgerade. Neu gibt es einen Klimafonds für Investitionen in neue Technologien. Erstmals wird auch die Mobilität mit der Flugticketabgabe zur Kasse gebeten. Trotz zielführenden Massnahmen ist das CO2-Gesetz sozialverträglich ausgestaltet. Drei Viertel der Lenkungsabgaben auf Heizöl sowie die Hälfte der Flugticketabgabe werden der Bevölkerung zurückerstattet. Das Gesetz ist ein Kompromiss. Die Klimastreikenden sind unzufrieden und die SVP will das Referendum ergreifen. Ein Nein zum CO2-Gesetz würde die Schweiz für Jahre zurückwerfen. Die EU hat bereits einen Green-Deal verabschiedet. Sie investiert eine Billion Euro in neue Technologien. Wir würden abgehängt! Das CO2-Gesetz ist ein erster Schritt, weitere müssen folgen. 

Parteifinanzierung bleibt eine Dunkelkammer 

Die Bevölkerung will Auskunft über die Parteienfinanzierung. Auch im Kanton Schaffhausen wurde die Transparenzinitiative der JUSO überraschend angenommen. Es ist entscheidend, wer mit grossen Geldsummen bei Wahlen und Abstimmungen Einfluss auf die Politik nehmen will. Auch die Mehrheit der Kantone anerkennen gemäss Vernehmlassung den Handlungsbedarf. Die Bevölkerung will mehr Licht ins Dunkel bringen. Der Ständerat hat aufgrund dieser Ausgangslage einen wenig griffigen Gegenentwurf zur Transparenzinitiative ausgear-beitet und die Obergrenze für die Offenlegung bereits mehr als verdoppelt. Der Nationalrat verwässerte den Vorschlag weiter und strich sogar die Offenlegung der Namen von Grossspendern. Damit war das Kernstück der Transparenz-Initiative weg. Wir haben deshalb geholfen, den Gegenentwurf zu versenken. Einzig die FDP-Fraktion sprach sich dafür aus. 

Keine Medienförderung ohne Online-Medien 

Die Corona-Pandemie hat den Strukturwandel in der Medienbranche weiter beschleunigt. Viele Zeitungen kämpfen ums Überleben. Werbeeinnahmen wandern zu ausländischen Kon-zernen wie Google und Facebook ab. Um ein vielfältiges Angebot in den Regionen als Service Public zu sichern, wurde ein Paket zur Unterstützung von Print, Radio-TV und Online geschnürt. Lange bestand Einigkeit in der Branche, dass es Massnahmen für alle drei Kanäle braucht. Doch die zwei grossen Zeitungsverleger machten ihren Einfluss geltend. Sie wollten das Paket aufteilen, um die Online-Medien leer ausgehen zu lassen. Diese Lobbyarbeit scheiterte. Eine Medienförderung, ohne digitalen Medien, wäre reine Strukturerhaltung und nicht zeitgemäss. Die linke Ratsseite drohte mit der Ablehnung des Gesamtpaketes. Um das zu verhindern, wurde die Vorlage an die Kommission zurückgeschickt. 

Im Bundesamt für Justiz weht ein rauer Wind 

Die verheerenden Brände im Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos wa-ren auch Thema in der Fragestunde. Die Würde und das Leben von 13’000 Menschen sind davon betroffen. Nebst Soforthilfe vor Ort, ist die Aufnahme einer signifikanten Anzahl Flüchtlinge von Lesbos dringend. Acht Schweizer Städte haben sich sofort bereiterklärt Flüchtlinge aufzunehmen. Justizministerin Karin Keller-Sutter blockierte aber diese Ange-bote. Ihre unbarmherzige Amtsführung unterscheidet sich diametral von ihrer Vorgängerin Simonetta Sommaruga. Stur bewilligte sie nur die Aufnahme von total 20 unbegleiteten Minderjährigen. FDP-Nationalrat Kurt Fluri unterstützt sie dabei: «Die Schweiz macht das, was sie kann. Alles andere wäre vorauseilender Gehorsam.» Offenbar gehört die humani-täre Tradition der Schweiz nicht mehr zur Wertehaltung der FDP. 

Hallau, 26.9.2020, Martina Munz, Nationalrätin/ www.martinamunz.ch

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