Frühlingssession 2020 des Nationalrats

www.martinamunz.ch – Jetzt herrscht der Ausnahmezustand. Die Session wurde abgebrochen, die Schulen geschlos-sen. Spätestens dann haben wohl die meisten der Ernst der Lage verstanden. Jetzt ist soli-darisches Handeln nötig. Der Peak der Coronafälle muss möglichst flach bleiben, damit Ka-pazität von Notfallstationen, Beatmungsgeräte und Pflege ausreichen. Und es zeigt sich, wie wichtig unser gut funktionierendes Gesundheitssystem mit einem öffentlichen Regionalspital ist. Privatspitäler vermögen in dieser Krise nur einen untergeordneten Beitrag zu leisten. 

Unzählige kleiner Betriebe und selbständig Erwerbende in der Gastronomie und im Kultur-bereich kämpfen ums Überleben. Mit der Schliessung aller nicht lebensnotwendigen Einrich-tungen wie Boutiquen und Fachgeschäfte sind viele Existenzen bedroht. H&M, Manor und wie sie alle heissen, werden überleben. Die individuellen Kleinbetriebe vom Coiffeur bis zum Blumenladen haben aber oft kein Polster, um die Einnahmeausfälle von mehreren Monaten zu verkraften. Gehen sie Konkurs, wird besonders unsere Region nach Corona ein anderes Gesicht haben. Sie sind es, die den Charakter von der Stadt und vom Kanton Schaffhausen prägen. Die Finanzhilfe des Bundes greift für diese Betriebe nicht oder zu spät. Sie brauchen in den nächsten zwei Wochen und nicht erst in sechs Monaten Hilfe. Die Kantonsregierung ist gefordert rasch und unbürokratisch zu handeln. An Geld mangelt es zurzeit nicht. Die zweistelligen Millionen Überschüsse der Kantonsrechnung der letzten Jahre und die üppigen Gewinnablieferungen der Kantonalbank erlauben eine zielgerichtete Finanzspritze. Nach jah-relangem Steuererlass und grosszügigen Finanzhilfen zur Ansiedlung von ausländischen Un-ternehmen, sollen jetzt lokale Kleinbetriebe, die die Hilfe dringend brauchen, profitieren. 

Bankiervereinigung gemeinsam mit Linken gegen Geldwäsche 

Die Enthüllungen rund um die Panama- und Paradise-Paper haben gezeigt, dass viele Schweizer Anwälte bei den zwielichtigen Offshore-Gesellschaften beteiligt waren. Das Geld-wäschereigesetz hat Lücken, die dringend geschlossen werden müssen. Bis jetzt wird es vor allem auf Banken angewendet. Neu sollte es auf alle Dienstleister mit Vermögensgeschäften ausgeweitet werden. Bundesrat, Economiesuisse und die Bankiervereinigung sprachen sich gemeinsam mit den Linken für eine Verschärfung des Geldwäschereigesetzes aus. Eine un-übliche Allianz! Bundesrat Ueli Maurer warnte: «Sonst muss ich wieder Türklinken polieren». Das wird ihm nicht erspart bleiben. Die Bürgerlichen wollen die organisierte Kriminalität nicht unterbinden und machten einen Kniefall vor der Wirtschaftsanwalts-Lobby. Auf das Gesetz wurde nicht eingetreten. Jetzt kann es höchstens noch der Ständerat richten sonst droht der Schweiz erneut ein Reputationsschaden und die graue Liste. 

Nestlé, Syngenta, Ruag, Glencore und Co. fürchten die KoVI – zu recht! 

Schon zum dritten Mal hat der Nationalrat über die Konzernverantwortungsinitiative KoVI debattiert. Schweizer Konzerne sollen für Menschenrechtsverletzungen haftbar gemacht werden. Die Initiative ist breit abgestützt und findet in der Bevölkerung grosse Unterstüt-zung. Der Nationalrat ist gewillt, Verantwortung zu zeigen und die Initiative mit einem Ge-genvorschlag rasch und griffig umzusetzen. Das passt Swiss Holdings nicht, der Verband von Konzernen wie Nestlé, Syngenta, Ruag und Glencore. Bundesrätin Karin Keller Sutter brachte mitten in der Beratung des Parlamentes einen neuen Alibi-Gegenvorschlag ein. Das sorgt für heftige Kritik und zeigt die Nähe der Bundesrätin zu Swiss Holdings. Der Gegen-vorschlag enthält keine Haftungsregeln, die Konzerne werden einzig zur Berichterstattung über Menschenrechte verpflichtet. Die Bundesrätin gibt zu Protokoll: «Es gibt Teile der Wirt-schaft, die noch immer glauben, man müsse gar nichts tun». Offenbar gehört sie auch dazu! Der Nationalrat hält ein drittes Mal an seinem Gegenvorschlag mit Haftungsregeln fest. Er würde zum Rückzug der KoVI führen. So weit wird es kaum kommen. In der Einigungskon-ferenz wird der griffige Gegenvorschlag versenkt werden, zu stark sind die Multis von Swiss Holdings. Das Stimmvolk wird dann voraussichtlich im November über die KoVi entscheiden und ob weiterhin Schlagzeilen wie am letzten Sonntag: «Ölfeld-Dammbruch bei Glencore im Tschad mit verheerenden Folgen» zu unserem Alltag gehören.  

Überbrückungsrente als bürgerliches Feigenblatt 

Seit der Masseneinwanderungsinitiative war es der Politik klar, dass es Unterstützung braucht für ältere Menschen, die nicht mehr in den Arbeitsmarkt zurückfinden. Die Überbrü-ckungsleistung ÜL wird älteren Langzeitarbeitslosen, den würdevolleren Übergang in die Pensionierung ermöglichen. Sie sollen auch nicht mehr in die Frühpensionierung gezwungen werden, denn damit brauchen sie ihr Alterskapital frühzeitig auf und sind von Altersarmut bedroht. Die Ratsmitte bis tief in die FDP unterstützte das Anliegen, denn die ÜL ist eine direkte Reaktion auf die Begrenzungsinitiative der SVP. Die Überbrückungsrente nähme der Initiative den Wind aus den Segeln. Das weiss auch die FDP. Sie hat deshalb aus Kalkül dem moderaten Sozialausbau zugestimmt. Die SVP versuchte die Entscheidung bis nach der Ab-stimmung zu verzögern. Corona ist ihr zu Hilfe gekommen. In der Sondersession anfangs Mai wird das Parlament die Vorlage hoffentlich noch ins Trockene bringen, denn nach der Abstimmung zur Begrenzungsinitiative könnte das soziales Gewissen der FDP die älteren Arbeitslosen wieder im Stich lassen. 

Fair-Preis-Initiative macht Schluss mit dem Schweizerzuschlag 

Schaffhausen hat schon 2015 eine Standesinitiative eingereicht, die den ungerechtfertigten Schweizerzuschlag abschaffen wollte. Leider ohne Erfolg. Die Lobby der Grosskonzerne hatte sich immer durchgesetzt. Jetzt haben Parlamentsmitglieder aus allen Parteien genug. Zu-lange hat das Gewerbe unter dem Einkaufstourismus gelitten. Ausländische Lieferanten schöpfen die Schweizer Kaufkraft schamlos ab. Sie schotten ihre Vertriebssysteme ab und setzen so überhöhte Preise durch. Mit dem Geoblocking geschieht dasselbe beim Online-Handel. Zu argumentieren, dass die hohen Löhne in der Schweiz das Problem seien, ist Unsinn! Die Produkte sind schon beim Einkauf überteuert, bevor Schweizer Leistungen drin-stecken. Grossimporteure wie Auto-Frey verdienen sich damit eine goldene Nase. Jetzt muss endlich Schluss sein damit! Das war auch der Wille im Nationalrat. Aeschi als Fraktionsspre-cher der SVP verkündete zwar die Ablehnung seiner Fraktion, doch die Hälfte der Partei büxte aus. Der griffige Gegenvorschlag der Fair-Preis-Initiative fand eine satte Mehrheit. 

Kein Schutz für Whistleblower 

Im Kampf gegen Korruption spielen Whistleblower eine zentrale Rolle. Diese mutigen Skan-dalaufdecker riskieren dabei oft die Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses, gesellschaftliche Ächtung und manchmal sogar eine Strafverfolgung. Die EU hat ihren Schutz gestärkt. Seit über 15 Jahren möchte auch die Schweiz Whistleblower besser schützen, doch ein entspre-chendes Gesetz wurde versenkt. Kritik kam von allen Seiten. Die neue Regelung hätte Rechtssicherheit geben sollen, doch das Gegenteil war der Fall. Das Gesetz war zu kompli-ziert und der Vorschlag des Bundesrates untauglich. Zuerst hätte der Arbeitgeber über den Skandal informiert werden müssen, bevor Meldung hätte gemacht werden dürfen. Zudem beharrten Arbeitnehmer auf besserem Kündigungsschutz, die Arbeitgeber bekämpften zu-sätzlichen Auflagen. Der Widerstand kumulierte sich von links und rechts. Bleibt zu hoffen, dass es nicht nochmals 15 Jahre dauert bis eine brauchbare Variante auf dem Tisch liegt. 

Stopp dem Food Waste und tierfreundliche Kälberaufzucht 

Zwei meiner Motionen haben am letzten Tag der Session die Hürde im Ständerat geschafft. Beide müssen jetzt umgesetzt werden. «Food Waste: Stopp der Lebensmittelverschwen-dung» fordert die Verwertung von geniessbaren Lebensmitteln. Alle unverkauften, aber noch essbaren Lebensmittel müssen an zertifizierte Organisationen oder Einzelpersonen abgeben werden. Sie dürfen nicht mehr vernichtet werden. In der Schweiz landen 2,6 Mio Tonnen Lebensmittel im Abfall. Dies ist ethisch und ökologisch nicht vertretbar. Die Migros hat den Vorstoss unterstützt und damit dem Anliegen wohl zum Durchbruch verholfen. 

Der zweite Vorstoss «Muttergebundene Kälberaufzucht» legalisiert die Elternzeitmilch. Neu darf Milch von Kühen verkauft werden, auch wenn das Kalb bei der Mutter saugt. So werden Kälber nach der Geburt nicht mehr von den Müttern getrennt und habe eine viel bessere Immunität, als wenn sie in Einzelhaltung, den sogenannten Kälber-Iglus, isoliert aufgezogen werden. Der prophylaktische Einsatz von Antibiotika könnte dadurch in der Kälbermast dras-tisch reduziert werden. Die Luzerner und Aargauer Zeitung widmetet diesem Erfolg eine ganze Seite, in den Schaffhauser Nachrichten war keine einzige Zeile darüber zu lesen. 

Martina Munz, Nationalrätin/ www.martinamunz.ch

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