Sessionsbericht von Nationalrätin Martina Munz –
«Aufbruchstimmung liegt in der Luft», waren die Worte von Simonetta Sommaruga in ihrer stimmigen Rede zur Wahl als Bundespräsidentin. «Im neuen Parlament gibt es so viele Frauen, so viele Mütter und so viele junge Menschen wie noch nie. Wo früher geraucht wurde, gibt es jetzt ein Stillzimmer mit einem Wickeltisch. Die Luft ist besser!» Das stimmt zwar so nicht ganz, denn das Raucherzimmer wurde wegen dem Stillzimmer nicht aufgehoben und trotzdem: Die Luft ist besser! Die Frauen bringen mehr Farbe und weniger steife Förmlichkeiten in den Politbetrieb. Ob sich das auch in den Inhalten niederschlägt, wird sich noch weisen. Ich freue mich auf die neue Legislatur und speziell darüber, neu Mitglied der Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie UREK zu sein. Mit dem CO2- und Energiegesetz werden uns bald zentrale Geschäfte für unsere Zukunft beschäftigen.
Symbolträchtiger Entscheid: Weichen für mehr Transparenz
Der Nationalrat sprach sich beim ersten politischen Entscheid der Legislatur für mehr Transparenz im Bundeshaus aus, noch im Juni wurde die gleiche Vorlage vom alten Nationalrat in der Wintersession 2019 deutlich abgelehnt. Es ist eine minimale Anpassung, neu wird ein Lobbyregister verlangt. Mit der Kehrtwende könnten aber auch bald Nebeneinkünfte der Parlamentsmitglieder zur Diskussion stehen. Diese Offenlegung dürfte meinen Schaffhauser SVP-Kollegen Bauchweh verursachen. Sie haben sich bisher geweigert Nebeneinkünfte offen zu legen. Nicht das neue Parlament, sondern der Meinungsumschwung in der FDP hat der Forderung nach mehr Transparenz zum Durchbruch verholfen. Doch eine Schwalbe macht noch kei- nen Sommer! Die FDP spürt wohl den Druck der Bevölkerung. Warum also nicht bei einer minimalistischen Anpassung Hand bieten? Bezüglich Transparenz bleibt viel zu tun. Die jahrelange Besetzung von Kommissionssitzen durch Interessensvertreter gefährdet unser System, denn die wirkungsvollsten Lobbyisten sind noch immer jene auf den Ratssesseln!
Landverschleiss trotz grünerem Nationalrat
Die erste Enttäuschung mit dem neuen Parlament folgte schon am zweiten Tag. Das Raumplanungsgesetz RPG2 sollte das Bauen ausserhalb der Bauzone regeln. Landwirtschaftliche Gebäude verschlingen mehr Boden, obwohl es weniger Betriebe gibt. Doch weil im bestehenden Raumplanungsgesetz die Bauern von vielen Ausnahmen profitieren, will sich niemand die Finger daran verbrennen. Trotz grünem Wahlerfolg hat der Nationalrat Nichteintreten auf das Gesetz beschlossen. Damit verlieren wir Jahre. Das Bundesamt für Raumentwicklung schlägt Alarm, es brauche rasch griffige Massnahmen gegen den Landverschleiss. Doch ohne Support von anderen Parteien, haben grüne Anliegen auch im neuen Parlament keine Chance. Hoffnung gibt die Landschaftsinitiative, die anfangs Januar eingereicht wird. Bundesrätin Sommaruga könnte Hand bieten für eine umgebaute Vorlage als Gegenvorschlag, denn die Bevölkerung will die Zersiedlung stoppen.
Bombensicheres Bundeshaus
Wenn Bundesratswahlen anstehen, dann wuselt es im Bundeshaus von Sicherheitskräften. Am Vorabend fahren Sattelschlepper vor das Bundeshaus und laden Material für Medienschaffende ab. Mikrofone und Kameras überall! In den umliegenden Bars beginnt die sogenannte Nacht der langen Messer, Gerüchte machen die Runde. Das Bundeshaus gleicht unterdessen einem Hochsicherheitstrakt, wird auf Sprengstoff geprüft und bombensicher gemacht. Was für einen Aufwand für eine Ausgangslage, die im Vorherein schon klar war. Unsere Prognose war: 86 Stimmen für Regula Rytz, gemacht hat sie deren 82. Weit weg vom absoluten Mehr, obwohl sie das Format und den Rucksack einer Bundesrätin hätte, blieb sie chancenlos. Leider wird der Wählerwillen in der Regierung nicht abgebildet. Einige Tage vor den Bundesratswahlen interviewte mich das SRF zur Bundesratswahl, worauf ich sagte: «Ich wähle keine unfähigen Bundessräte». Was damit gemeint war, lag auf der Hand. Doch dieser Satz wurde weggeschnitten und nur der Folgesatz ausgestrahlt: «Eine Abwahl eines amtierenden Bundesrates ist eine unschöne Notmassnahme!» So bekam die Aussage eine ganz andere Bedeutung. Wie einfach die Medien einem das Wort im Munde umdrehen! Nun bleibt also im Bundesrat alles wie vor den Wahlen.
Industriesubventionen machen Kampfjet mehrheitsfähig
Der Bundesrat will für Höchstleistungs-Kampflugzeuge sechs Milliarden Franken ausgeben. Diese Kampfjets haben viele Fähigkeiten, die von der Schweiz gar nie genutzt werden können. Für luftpolizeiliche Aufgaben braucht es keine Luxusflieger. Der Grund für den grossen Support der Bürgerlichen für diese Milliardenbeschaffung ist weniger bei der Sicherheit, als bei der Industriesubventionierung. Jeder Franken, der ein ausländischer Kampfjet-Hersteller verdient, muss zu 60 Prozent mit Aufträgen an Schweizer Unternehmen kompensiert werden. Als Offset-Geschäfte getarnt, strecken private Unternehmen ihre Hände weit nach staatlichen Subventionen aus! Das verteuert die Kampfjets um rund eine Milliarde Franken. Die Bürgerlichen legen diese Milliarde in die Hände ausländischer Firmen. Diese dürfen damit in der Schweiz Aufträge verteilen. Sogar ein regionaler Verteilschlüssel wurde ausgeheckt. Das ist nicht gezielte Industrieförderung, sondern Strukturerhaltung! Westschweizer Kantone schrieben an die Parlamentsmitglieder: «Ohne Aussicht auf eine wirtschaftliche Beteiligung an den milliardenschweren Investitionen werden wichtige Teile der Industrie die Be- schaffungsvorlage kaum aktiv unterstützen.» Diese brauche es aber für die Zustimmung an der Urne. Deutliche Worte, dass der Kampfjet der Industrie und nicht der Sicherheit dient.
Gleichstellungs-Offensive: Burka-Initianten beim Wort genommen
Dem Burka-Verbot stellte der Bundesrat einen indirekten Gegenvorschlag gegenüber: bei Identifikationen durch die Behörden darf das Gesicht nicht verhüllt werden. Dieser Bereich entspricht schon dem geltenden Recht. Der Nationalrat mit neuen Mehrheiten ging weiter und schnürte als Gegenvorschlag ein Gleichstellungspaket. Der Bund soll neu Integrationsprogramme und damit auch Frauenhäuser unterstützen können. Auch Frauen im Ausland, die von Extremisten unterdrückt werden, soll geholfen werden können. Islamophobe fühlen sich diffamiert. Nationalrat Glarner von der SVP schimpfte am Mikrofon fassungslos: «Sie machen tatsächlich ein Gleichstellungsprogramm daraus!» Das stimmt! Wir haben die Initiantinnen und Initianten nur beim Wort genommen. In ihrem Argumentarium führen sie Gleichberechtigung als zentrales Argument für ihre Initiative auf. Unterdrückung von Frauen kann nicht mit einer Kleidervorschrift in der Verfassung bekämpft werden.
Frontalangriff auf Zivildienst verbessert die Armee nicht
Der Zivildienst ist eine Erfolgsgeschichte. Viele Zivildienstleistende übernehmen wertvolle Aufgaben für unsere Gesellschaft. Das sahen nicht alle so. Seit der Abschaffung der Gewissensprüfung habe sich die Zahl der ’Abschleicher’ vervielfacht. Der Armeebestand sei gefährdet. Doch die Verschärfung der Bedingungen des Zivildienstes macht den Militärdienst nicht attraktiver. Neu soll der Zivildienst im Jahr der Zulassung vollständig geleistet werden müssen und bei einem Wechsel vom Militärdienst soll er mindestens fünf Monate dauern. Von der «besten Armee der Welt» sind offenbar viele Wehrpflichtige enttäuscht. Im Nationalrat und im Ständerat wurden alle Verschärfungen gutgeheissen bis auf eine Ausnahme. Bei dieser Differenz wurde taktisch abgestimmt. Die Vorlage muss deshalb nochmals in den Ständerat und kann nicht gleichzeitig mit den Kampfjets dem Volk vorgelegt werden. Das macht den Abstimmungskampf schwieriger.
Pflege wird gestärkt ohne Konzession an Krankenkassenlobby
In der Schweiz herrscht ein Pflegenotstand. Das ist eine ungemütliche Realität. Wir bilden Jahr für Jahr nicht einmal die Hälfte der benötigten Pflegenden aus und sind auf ausländische Fachkräfte angewiesen. 10‘000 Stellen sind nicht besetzt, Tendenz rasch steigend. Trotzdem müssen Pflegende um jedes Stellenprozent und jeden Franken kämpfen. Die Initiative «Für eine starke Pflege» will für Abhilfe sorgen. Unverständlich, dass sie der Bundesrat ohne Gegenvorschlag zur Ablehnung empfiehlt. Das Parlament hat den Notstand erkannt und einen indirekten Gegenvorschlag erarbeitet. Es soll in die Ausbildung investiert werden. Zudem sollen Pflegende zur Aufwertung des Berufes gewisse Leistungen mit den Krankenkassen direkt abrechnen können. Die Versicherer wollten mitbestimmen, wer abrechnen darf und wer nicht. Der Vertragszwang würde abgeschafft, ein Präjudiz nach dem Motto: Alle Macht den Krankenkassen! Ein gefährlicher Schritt zur Zweiklassengesellschaft. Das neue Parlament hat soziale Verantwortung gezeigt. Mit dem indirekten Gegenvorschlag hat es die Pflege gestärkt und gegenüber den Krankenkassen Rückgrat bewiesen!
Hallau, 21.12.2019, Martina Munz, Nationalrätin/ www.martinamunz.ch 2/2