Von Nationalrätin Martina Munz
Nun ist das Thema «Verschotterung» auch in Bern angekommen und wird als Problem erkannt. Mein Postulat wurde vom Bundesrat zur Annahme empfohlen und ist nicht bekämpft.
Wahlversprechen ohne ernsthaftes Umdenken!
Schon am ersten Sessionstag gingen die Wogen hoch. Zur Debatte stand die Verlängerung der Steuererleichterungen für umweltfreundliche Treibstoffe. Diese war unbestritten, denn wo immer die Steuern gesenkt werden, sind die Bürgerlichen gerne dabei. Gleichzeitig sollte auch der Klimafahrplan angepasst werden. Die FDP blieb zusammen mit der SVP auf ihrem minimalistischen Kurs. Argument: Nicht der richtige Zeitpunkt! Die Revision des CO2-Gesetzes sei das richtige Instrument. Überaus knapp wurden alle Massnahmen für griffigere Klimaziele abgelehnt. Trotz Wahlversprechen hält das grüne Mäntelchen der FDP dem Tatbeweis also nicht stand. Hätten nur vier Personen anders gestimmt, wäre die ökologische Neuausrichtung gelungen. Wir hoffen auf neue Mehrheiten nach den Wahlen.
Alibiübung mit bescheidener Wirkung: Schweiz bleibt Schlusslicht
Vier Wochen Urlaub für Väter nach der Geburt ihres Kindes: wahrlich keine Ungeheuerlich- keit, die lediglich ein Lohnpromille gekostet und unsere Wirtschaft kaum zum Erliegen ge- führt hätte. Zur Erinnerung: Unsere deutschen Nachbarn kennen 14 Monate Elternzeit! Im Nationalrat hatte die Vaterschaftsurlaubsinitiative dennoch keine Chance. Immerhin kam der indirekte Gegenvorschlag mit zwei Wochen durch. Die neuste UNICEF-Studie zeigt, dass die Schweiz bezüglich Familienfreundlichkeit europaweit auf dem letzten Platz ist. Die SP will deshalb demnächst eine Initiative für eine Elternzeit von 38 Wochen ergreifen: je 14 Wochen für Vater und Mutter, sowie 10 Wochen frei aufteilbar. Die Schweiz wäre damit noch immer nicht im Mittelfeld von Europa. Die Kosten der Elternzeit wären schon durch die höhere Arbeitsbeteiligung der Frauen um ein Prozent bereits gedeckt und die Gleichstellung durch die Einbindung der Väter in die Erziehungsarbeit eher in greifbarer Nähe. Es ist erschreckend wie viele Politiker sich im Gespräch stolz damit brüsten, Windeln zu wechseln, als wäre das der Kern der Sache. Von einer Frau habe ich eine solche Aussage noch nie gehört. Das zeigt, wie abstrakt der Gleichstellungsbegriff für viele Männer ist.
Statt ein Jagd- und Schutzgesetzt ein Abschuss- und Jägerschutzgesetz
Die radikalen Wolfsgegner haben sich durchgesetzt. Feurige Redner verlangten die schweiz- weite Ausrottung der Grossraubtiere. Ein Abschuss soll sogar vorsorglich möglich sein, bevor ein Schaden entstanden ist. Selbst Wildschutzgebiete sind nicht ausgenommen. Den vielen Jägern im Parlament ging es lediglich um ihr Hobby. Wenn der Wolf da ist, sind die Wildtiere schwieriger zu jagen. Unter dem Vorwand der Wolfsregulierungen sollen auch geschützte Arten wie Luchs und Biber zum Abschuss freigegeben werden. Allerdings wurden diese Tiere dann aus dem Gesetz gestrichen, um das Referendum zu erschweren, abschiessen darf man sie trotzdem. Das Gesetz zeigt einen veralteten, respektlosen Umgang mit der Natur, denn die Rückkehr des Wolfes ist für die Biodiversität ein positives Zeichen. Einzig wenn ein Wolf die Scham vor Menschen verliert, ist ein Abschuss angezeigt. Zum neuen Abschussgesetz hat das Volk das letzte Wort, die Umweltorganisationen werden das Referendum ergreifen.
Kapitulation des Staates: Konzerne übernehmen das staatliche Passbüro
Der digitale Pass, besser bekannt als elektronische Identität oder E-ID, ist eine Notwendig- keit. Damit macht man Personen bei E-Government aber auch Online-Dienstleistungen wie Versicherungen identifizierbar. Allerdings will das Parlament die Monopoldienstleistung an privaten Unternehmen auslagern. Anstelle von staatlichen Passbüros treten Grossbanken, Versicherungsgesellschaften und Konzerne. Sie verwalten dann unsere persönlichen, sen- siblen Daten. Die Bürgerlichen trauen dem Staat die Einführung einer E-ID nicht zu. Der Kanton Schaffhausen macht aber vor, dass sogar ein kleiner Kanton diese Dienstleistung erbringen kann. Der Ausstellung und Verwaltung eines Passes gehört zu einer ur-staatlichen Leistung und nicht in die Hände der Privatwirtschaft. Dieser historische Systemwechsel kann nur mit einem Referendum verhindert. Auch darüber wird also das Volk entscheiden.
Schweizer Brexit ist keine Option
Rechtzeitig für die Wahlen hat die SVP ihre Begrenzungsinitiative eingereicht. Sie verlangt das Ende der Personenfreizügigkeit und damit die Kündigung des bilateralen Weges. Die inszenierte Zuwanderungsdebatte mochte aber nicht recht gelingen. «Wurmstichige SVP- Debatte», titelte der Blick. Die Ausländerinnen und Ausländer sind angeblich an allen unse- ren Problemen schuld: an steigenden Mieten, Zubetonierung der Landschaft, überfüllten Strassen und vollen Zügen. Selbst für unseren ökologischen Fussabdruck müssen sie her- halten. 81 Rednerinnen und Redner meldeten sich zu Wort, davon 40 von der SVP. Die SP macht sich daraus einen Spass mit einem Bullshit-Bingo. Aus einer Liste konnte man drei «Lieblingsbegriffe» wie Kriminalität, Sozialhilfebezüger, Dichtestress oder 10-Millionen- Schweiz wählen, für die man einen Betrag spenden möchte. Wann immer der Begriff fiel, klingelte die Wahlkampfkasse. Die SVP erhoffte sich von der Monsterdebatte endlich das mobilisierende Thema für den Wahlkampf gefunden zu haben. Die SP freute sich über die rund 40‘000 Franken zusätzlichen Wahlkampfspenden für den Schlussspurt.
Sozialer Meilenstein für schwer geprüfte Angehörige
Erkrankt ein Kind an einer schweren Krankheit steht das Familienleben von einem Tag auf den anderen Kopf. Nebst der intensiver Betreuung und Begleitung des Kindes, stellen sich bald die Angst um Arbeitslatz und finanzielle Sorgen ein. Viele parlamentarische Vorstösse haben auf diese unhaltbare Situation aufmerksam gemacht. Nun hat Bundesrat Berset eine Gesetzesänderung durch den Nationalrat gebracht, die endlich für Abhilfe sorgt. Eltern von schwer kranken Kindern wird aus der Erwerbsersatzordnung einen bezahlter Betreuungsur- laub von bis zu 14 Wochen finanziert. Auch für die Pflege anderer Familienmitglieder, zum Beispiel betagter Eltern sollen bis zehn freie Tage im Jahr gewährt werden. Nur die SVP hatte kein Verständnis für das Anliegen. Ihr Credo: «Spare in der Zeit, so hast du in der Not!» Dieser ignorante Spruch verfing nicht. Mit klarer Mehrheit entschied sich der Natio- nalrat erfreulicherweise für die Entlastung der pflegenden Angehörigen.
Partisanenlied «Belle Ciao» als «Final Countdwon» im Parlament
Mitten in Vorstössen zum Verteidigungsdepartement ging auf der Tribüne ein Klamauk los. Die Klimajugend entrollte ein Transparent: «Final Countdown, 16 months left» und stimmte eine abgeänderte Version von «Bella Ciao» an. Die Debatte musste kurz unterbrochen wer- den. Die Aktion im Nationalrat sollte aufwecken und zeigen, dass für die teilweise noch gar nicht stimmberechtigte Jugend die Klimapolitik ein ernsthaftes Anliegen ist. Die Aktion zeigte sogleich Wirkung, denn noch am gleichen Tag kam die Flugticketabgabe durch den Natio- nalrat. Oft braucht es den Protest der Strasse um politische Weichen zu stellen. Frauen- stimmrecht, AHV und Mutterschaftsversicherung wurden so erkämpft. Der Druck der Strasse hat auch im Ständerat gewirkt. Das CO2-Gesetz ist zwar noch immer nicht der grosse Wurf, die Beratungen übertrafen aber die Erwartungen bei weitem.
Murks ohne Kostendämpfung, dafür Schwächung der Kantone
EFAS bedeutet «einheitliche Finanzierung von ambulanter und stationärer Gesundheitsleis- tungen». Die Vorlage wurde vom Parlament ohne Einbezug des Bundesrates erarbeitet. Statt Fehlanreize zu beseitigen und Kosten zu sparen, wird die Macht einseitig zu den Kranken- kassen verschoben. Heute zahlen die Kantone 55% an stationäre Behandlungen, die Kran- kenkassen 45%. Erfolgt ein Eingriff ambulanten, übernimmt die Krankenkasse die Leistun- gen zu 100%. Neu soll es einen einheitlichen Schlüssel geben, der Kanton übernimmt 25,5% an allen Leistungen. Das Problem: den Kantonen werden sämtliche Steuerungskompetenz entzogen, sie werden zu reinen Zahlstellen. Die Macht zur Steuerung des Gesundheitssys- tems geht einseitig an die Versicherer. Die Kantone drohen mit dem Referendum. Wir von der SP glaubten in einer Krankenkassenverbandssitzung zu sein. Zahlen zu Einsparungen wurden uns vor der Beratung im Parlament keine auf den Tisch gelegt. Dafür werden neu Privatspitäler, mit 74,5% zulasten der Grundversicherten mitfinanziert. Das ist ein Skandal und wird mit Sicherheit eine kostentreibende Wirkung haben.
Hallau, 29. September 2019, Martina Munz, Nationalrätin/ www.martinamunz.ch 2/2