Hallau, 15.12.2018, Martina Munz, Nationalrätin/ www.martinamunz.ch –
Schlechtreden hat System: Zu Beginn der Session beschäftigte uns noch die Selbstbestimmungsinitiative.
Die vierte Initiative der SVP in Folge, die mit dem verfänglichen Argument der Souveränität und des Schutzes der direkten Demokratie unsere Institutionen schlechtredete. Die FDP und CVP engagierten sich bei den Abstimmungen jeweils nur lauwarm und grenzten sich nur vage gegen den Rechtspopulismus ab. Das ist gefährlich. Die SP kann diese staatspolitische Verantwortung nicht alleine übernehmen. Organisationen der Zivilgesellschaft sind in die Bresche gesprungen, darauf kann man sich jedoch längerfristig nicht verlassen. Parteien müssen den Lead bei solchen Themen übernehmen, sonst machen sie sich überflüssig.
Bittere Pille für Versicherte
Die Politik kriegt die Gesundheitskosten nicht in den Griff. Die Pharmalobby ist zu mächtig und zu viele Parlamentsmitglieder profitieren von Mandaten im Gesundheitswesen. Das Parlament macht sich somit käuflich und handelt nicht im Interesse der Bevölkerung. Statt gezielt gegen hohe Gehälter, Medikamentenpreise, Überversorgung und falsche Anreize vorzugehen, wird der Hebel bei den Versicherten angesetzt. Durch höhere Franchisen sollen unnötige Arztbesuche vermieden werden. Bundesrat Berset warnte vergeblich vor falschen Hoffnungen und bezeichnete die Vorlage als nutzlos. Die Franchisen wurden seit deren Einführung bereits verdoppelt, ein kostendämpfender Effekt konnte dadurch nicht ausgemacht werden. Jetzt droht eine Erhöhung von 300 auf 500 Franken. Das ist unsozial und könnte Kranke von einem Arztbesuch abhalten, was zu ernsthaften Komplikationen und folglich noch höheren Kosten führen kann. Statt das Übel an der Wurzel zu packen, werden dafür die Kosten für die Prämienverbilligung weiter in die Höhe getrieben. Das Gesundheitsweisen ist durch und durch kapitalistisch: Satte Gewinne für die Pharma-Industrie und für die Krankenkassen zu Lasten des Staates und der Versicherten.
Peinliches aus der Budgetdebatte: «Wenn Frauen eine Rasse wären…»
Trotz Überschuss von 1,3 Milliarden wurde um viele Budgetpositionen gefeilscht. Die Querschnittskürzung beim Personal konnte abgewehrt werden. Selbst Ueli Maurer setzte sich vehement für das Personal ein: «Nicht einmal in einem Jahr von so hohem Finanzüberschuss wird die Teuerung vollständig ausgeglichen», meinte er. Das Parlament zeigte sich nicht beeindruckt. Immerhin konnte bei der Armee eine unsinnige Anschaffung von Schutzwesten in zwei Ausführungen für alle Armeeangehörigen leicht gekürzt werden. Einsicht zeigte das Parlament auch bei Bildung und Forschung. Die Kürzungen der letzten Jahre konnten rückgängig gemacht werden. Eine kabarettreife Einlage bot das Votum von Nationalrat Frehner zur Abschaffung des Gleichstellungsbüros: «Diese staatliche Lobbyorganisation setzt sich bloss für die Besserstellung der Frau ein. Männer sterben bekanntlich viel früher als Frauen. Haben Sie von diesem Amt etwas von einem Projekt zur Erhöhung der Lebenserwartung von Männern gehört? Wenn die Frauen eine Rasse wären, würde man von Apartheidpolitik sprechen!» In der Wandelhalle hat mir ein sonst strammer SVPler gestanden: «Nach diesem Votum werde ich noch zum Feministen.»
Mister Freihandel tritt ab
Das Rednerpult sei nicht sein Lieblingsmöbelstück, witzelte der abtretende Bundesrat Schneider-Amann in seiner Abschlussrede. Nur wenigen Politikern ist es vergönnt, auch über sich selbst zu lachen. Seine Politik war jedoch nicht zum Lachen. Der Wirtschaftsminister verhandelte zwar 13 Freihandelsabkommen, Nachhaltigkeit und Menschenrechte spielten dabei aber eine untergeordnete Rolle. Im eigenen Land sorgte er für rote Köpfe. Bei den Bauern führte der Abbau des Grenzschutzes ebenso zur Gesprächsverweigerung wie bei den Gewerkschaften das Überschreiten der roten Linie beim Lohnschutz. Die Lockerung der Kriegsmaterialverordnung in Bürgerkriegsländer geht auf sein Konto, wie auch das Scheitern der Kartellgesetzrevision, das den Einkaufstourismus etwas eingedämmt hätte. Im Departement bleibt viel Aufräumarbeit, ob für diese Aufgabe Guy Parmelin der Richtige ist, scheint fraglich.
Als Atom-Doris den Atomausstieg besiegelte!
Uns Frauen wird oft vorgeworfen, wir seien zu emotional. Leuthard konnte diese Eigenschaft offensichtlich als Stärke nutzen. Sie war stets ehrlich und direkt, ihre Dossiers hatte sie fest im Griff. Es waren fast paradiesische Zeiten als vier Bundesrätinnen gemeinsam am Werk waren und nach Fukushima den Atomausstieg beschlossen haben. Ein Entscheid der so von Doris Leuthard mit ihrer nuklearen Vergangenheit nicht erwartet wurde. Mit Charme und Engagement hat sie dann auch die Energiewende eingeläutet. Von diesem Kampfgeist war in dieser Session allerdings nicht mehr viel zu spüren. Das Parlament verweigerte ihr beim CO2-Gesetz die Gefolgschaft. Den AKW-Betreibern machte sie mit der Erhöhung der Grenzwerte um das 100fache noch ein Abschiedsgeschenk. Der Abschaltzeitpunkt wird dadurch weit hinauszögert, ein Bärendienst für die Energiewende.
Draussen Demos von Klima-Alarm, drinnen Powerplay von Swissoil
Der Klimawandel ist längst Tatsache, leider eine, die das Bundeshaus kalt lässt. Die Revision des CO2-Gesetzes war ein Trauerspiel. Die bürgerliche Mehrheit denkt nicht daran den CO2- Ausstoss zu vermindern und die Abhängigkeit vom Ausland zu reduzieren. Klimapolitik wäre auch Wirtschaftspolitik. Davon wollte das Parlament nichts wissen. Die Schweiz könnte mit innovativen Technologien neue Märkte erschliessen. Obwohl die Schweiz pro Kopf bezüglich Verkehr und Gebäude im europäischen Vergleich fast am meisten fossile Energie verbraucht, wird nichts zur Reduktion unternommen. Der Flugverkehr wird im Gegensatz zu allen umliegenden Ländern weiter verschont. Der Klimaschutz wird Economiesuisse und vor allem Swissoil überlassen, dem Dachverband der Brennstoffhändler an dessen Spitze SVP-Präsident Albert Rösti sitzt. Mit jeder Abstimmung im Rat wurde der Klimaschutz weiter aufgeweicht. In der Ratsdebatte wurden das Inlandziel weggeputzt und Qualitätsanforderungen an Klimazertifikate gestrichen. Die Konsequenz war schliesslich die Ablehnung des Gesetzes. Die meisten Beschlüsse fielen knapp mit nur zwei Stimmen Unterschied. Bis die Neuauflage dieses CO2-Gesetzes wieder im Nationalrat beraten wird, ist ein neues Parlament am Werk. Das lässt hoffen. Darum ist jede Stimme bei den nächsten Wahlen wichtig.
Migrationspakt zur Stimmungsmache missbraucht
Der «Global Compact for Migration» wurde von 150 UNO-Mitgliedländer unterzeichnet. Die Schweiz blieb der Konferenz fern, obwohl unser Botschafter Jürg Lauber den Pakt massgebend mitgeprägt hat. Mit dem Pakt werden Missstände der Arbeitsmigration angegangen: Menschenhandel, Prostitution und Zwangsarbeit. In vielen Teilen der Welt werden Arbeitsmigrantinnen und Migranten unter prekären Verhältnissen ausgebeutet. Aus linker Sicht müssen die Menschenrechte endlich auch für diese Menschen durchgesetzt werden. Dies ist nur mit einer multilateralen Vereinbarung möglich. Noch an der Generalversammlung der UNO im Juli war das Abkommen unbestritten. Doch rechtsextreme Kreise von Ungarn bis Österreich haben es verstanden, das Abkommen für ihre Zwecke zu nutzen. AfD, SVP und neu auch FDP übernahmen die Kritik, die nicht auf Fakten basiert. Fakt ist, dass die nationalstaatliche Souveränität nicht angetastet wird. Ein Vorstoss von Ständerat Germann, den Pakt grundsätzlich abzulehnen, wurde versenkt. Der Bundesrat wird nun den Entscheid über den Pakt dem Parlament vorlegen. Erste Wirkung hat der Pakt allerdings bereits gezeigt: Die Ausschaffungshaft für Minderjährige wird von den Kantonen abgeschafft. Das ist die einzige Forderung, welche die Schweiz noch nicht erfüllt hat.
Auf Tuchfühlung mit der Classe Politique
Kurze Führung durchs Bundeshaus, Tribünenbesuch und ein Fragerunde mit einem oder mehreren Parlamentsmitgliedern ihrer Wahl: diese Möglichkeit den Schweizer Politbetrieb von Nahe zu erleben wird von Schulklassen und Gruppen rege genutzt. Mich freute eine Rückmeldung einer Besuchergruppe besonders: «Endlich haben wir verstanden, dass der Nationalrat nicht nur ein Haufen undisziplinierter Politikerinnen und Politiker ist. Da wird sehr hart gearbeitet.» Das trifft mindestens für die meisten von uns zu. Ein Teilnehmer meinte gar, jetzt zahle er die Bundessteuern wieder etwas lieber. Dieses Fenster zur Bundespolitik steht allen offen und hinterlässt meistens einen bleibenden Eindruck. Die Reise nach Bern lohnt sich allemal – es würde mich freuen, euch dort zu begrüssen. Infos unter:
https://www.parlament.ch/de/services/besuch-im-parlamentsgebaeude oder bei mir.
Hallau, 15.12.2018, Martina Munz, Nationalrätin/ www.martinamunz.ch