Von Christoph Brüssel mit Song – Ein unausgegorenes Formulierungsungetüm mit dem verwirrenden Namen „Durchsetzungsinitiative“ soll nach dem Willen der SVP in unsere Bundesverfassung aufgenommen werden. Diese Durchsetzungsinitiative wirft (neben anderen) vor allem zwei grundlegende Rechtsprizipien unseres Landes, die Verhältnismässigkeit staatlicher Freiheitseingriffe und den Grundsatz der richterlichen Einzelfallprüfung, handstreichartig über Bord (soweit es um Straftaten von Ausländern geht).
Dort, wo es sich wirklich um schwerwiegende Kriminalität handelt, versteht es sich nach dem geltenden Recht, d.h. gerade auch bei Anwendung des Verhältnismässigkeitsgrundsatzes, von selbst, dass diese massiven Straftäter ausgewiesen werden müssen. Wo es um wirklich schwere Kriminalität geht, braucht es für eine Ausschaffung der Täter somit keine Durchsetzungsinitiative. Wenn die Befürworter der Durchsetzungsinitiative den Eindruck erwecken wollen, die harten Kapitalverbrecher könnten ohne diese Initiative nicht ausgeschafft werden, so ist dies schlicht irreführend und dient ausschliesslich der Stimmungsmache. Effektive Auswirkungen hätte die Initiative jedoch im Bereich der leichteren und mittelschweren Delinquenz, wo mit einem starren Deliktskatalog in fragwürdiger Weise meist die automatische Ausweisung ohne Rücksicht auf das Verschulden und die persönlichen Verhältnisse vorgesehen ist.
Zu den hier angegriffenen Bestandteilen unserer rechtsstaatlichen Grundausstattung gehören neben der Verhältnismässigkeit und der Einzelfallprüfung auch der Grundsatz, dass sich die Strafe nach dem Verschulden richtet, die Rechtsgleichheit, die Verbindlichkeit des Völkerrechts und der Grundsatz der Gewaltenteilung.
Die drohende Beschädigung dieser rechtlichen Grundausstattung würde das Vertrauen in die Qualität unserer Rechtsordnung nachhaltig beeinträchtigen, und es käme in zahlreichen Einzelfällen zu extrem stossenden – eben unverhältnismässigen – Ausweisungssanktionen:
z.B.
Ein gut integrierter Spitalarzt aus Spanien, der es unterlässt, dem Sozialversicherungsamt einen 6-monatigen Studienunterbruch seines Sohnes zu melden, und während dieses Unterbruchs weiterhin Kinderzulagen bezieht, wird, wenn ihm vorsätzliches Unterlassen vorgeworfen werden kann, automatisch – ohne wenn und aber – ausgewiesen, sofern er mit einer Geldstrafe (und nicht nur mit einer Busse) bestraft wird. Dies ist bei Vermögensdelikten praxisgemäss bei einem Deliktsbetrag von über Fr. 300.– der Fall.
Ein hier geborener jugendlicher Ausländer bricht mit Kollegen im Bierrausch in seiner früheren Lehrfirma ein und bedient sich gemeinsam mit Bier aus dem dortigen Kühlschrank (Einbruchdiebstahl).
Bei Annahme der Durchsetzungsinitiative würde er automatisch ausgewiesen.
Ein hier geborener 25-jähriger Ausländer, der keinen Kontakt mehr zu seinem Heimatstaat hat, hat im Strafregister eine Vorstrafe wegen Überfahrens eines Rotlichts. Er gerät unglücklicherweise in eine Dorfschlägerei und wird wegen Raufhandels (Art. 133 StGB) verurteilt. Gemäss Durchsetzungsinitiative muss er automatisch ausgewiesen werden, obwohl ihm sein Heimatland völlig fremd ist, und er dort niemanden kennt.
Solche stossende, unmenschliche Sanktionen wären bei Geltung der Durchsetzungsinitiative an der Tagesordnung. Die Grobheit des Denkens, die in dieser Initiative zum Ausdruck kommt, meint allen Ernstes, man könne in einer zivilisierten Gesellschaft auf den Grundsatz der Verhältnismässigkeit verzichten. Was dabei herauskommt, dient der Verbrechensbekämpfung in keiner Weise, sondern stürzt unser Justizwesen in äusserst vertrackte unlösbare Konflikte und Probleme.
Die Grobheit des Denkens, die diese Initiative prägt, führt schliesslich nicht nur zu Fällen unverständlicher Härte, sondern umgekehrt auch zu Fällen unverständlicher Laschheit, so z.B. im Fall eines Finanzanalysten aus den USA, der zwecks Steuerbetrug (was nicht als Betrug gemäss Art. 146 StGB gewertet wird) einen gefälschten Kontoauszug einreicht (Urkundenfälschung). Dieser Steuerbetrüger dürfte nach Annahme der Durchsetzungsinitiative problemlos in der Schweiz bleiben (die Urkundenfälschung wurde im SVP-Deliktskatalog „vergessen“).
Es zeigt sich, dass dieses verfassungsrechtliche Monstrum von einer Initiative in ihrer Grobheit völlig unkoordinierte und in sich widersprüchliche Auswirkungen hätte. Ausserdem sind Gesetzgebung und Rechtsprechung eindeutig nicht Aufgaben einer Verfassungsinitiative.
Es darf nicht soweit kommen, dass unsere Justiz – soweit es um die Ausweisung ausländischer Straftäter geht – zu einer automatischen „strafrechtlichen Selbstschussanlage“ (Zitat: Daniel Jositsch) verkommt, bei welcher – wegen des starren Deliktskatalogs – für das vernünftige Abwägen des Einzelfalles kein Platz mehr vorhanden ist..
Eine Initiative, die den Richtern das vernünftige Abwägen im Einzelfall verbietet, passt nicht in unsere Schweiz. Der Kolumnenschreiber bittet Sie daher, die Durchsetzungsinitiative mit einem beherzten Nein definitiv ins Altpapier zu befördern.
Christoph Brassel, Jurist und Chansonier