Hallau, 22. März 2015, Martina Munz, Nationalrätin / www.martinamunz.ch
Die Freude ist jeweils gross, wenn unser SP-Nationalratspräsident den Stichentscheid fällen kann. In dieser Session war diese Freude eineinhalb Stunden später wieder vorbei. Multi-nationale Konzerne sollten bezüglich Menschenrechte stärker in die Pflicht genommen wer-den. Die Schweiz würde damit zu den fortschrittlichen Staaten gehören. Die CVP machte einen Rückkommensantrag, weil einige Mitglieder den falschen Abstimmungsknopf er-wischt hätten, auch ihr Präsident! Der Antrag obsiegte, das Resultat kippte prompt. Der Partei mit dem C stehen Konzerngewinne anscheinend näher als die Menschenrechte.
Sportlicher Rückwärtssalto in der Wandelhalle
Das Gesetz zur Umsetzung der Zweitwohnungsinitiative wurde wie ein Käse durchlöchert. Bergkantone und Baugewerbe haben mit Hilfe der SVP ihr eigenes Gesetz geschustert. Besonders krass: Zweitwohnungen, die auf dem Internet angeboten werden, sollten per Gesetz den Erstwohnungen gleichgestellt werden. Dann die Wende! Die Medien hielten der SVP unverblümt den Spiegel vor. Wer den Volkswillen so mit Füssen tritt, kann nicht auf eine buchstabengetreue Umsetzung der eigenen Masseneinwanderungsinitiative hof-fen. „Es ist nie zu spät, gescheiter zu werden“, rechtfertigte der SVP-Sprecher die politi-sche Kehrtwende. Das Gespött im Saal war gross. Nach eineinhalb Jahren sturer Kompro-misslosigkeit kam diese Erkenntnis reichlich spät. Kompromissbereitschaft sieht anders aus. Der Eigennutz hat jetzt wenigstens der Zweitwohnungsinitiative zu einem einigerma-ssen würdigen Gesetz verholfen.
Kultur im Ständerat – Schaffhauser enttäuschen
Die Kulturbotschaft von Bundesrat Alain Berset stiess im Ständerat auf grosse Akzeptanz. Enttäuschend ist, dass ausgerechnet unsere beiden Schaffhauser Ständeräte Anträge auf umfangreiche Kürzungen gestellt haben. Glücklicherweise sind sie damit gescheitert. Ist ihnen nicht bewusst, welch grosse Bedeutung die kulturelle Szene in Schaffhausen hat? Ich empfehle den Kollegen, vermehrt die kulturelle Vielfalt und Kleinkunst von Schaffhau-sen zu geniessen oder erst mal kennen zu lernen. Kultur in ihrer ganzen Vielfalt ist eben mehr als Mainstream und braucht gerade deshalb besondere Förderung. Eine lebendige Kulturszene ist ein wichtiger Standortfaktor, auch für Schaffhausen.
Blick: „Sex im Bundeshaus“
Unter diesen Headlines schaffte ich es erstmals in voller Grösse in den Blick. Die Initiative „Schutz vor Sexualisierung in Kindergarten und Primarschule“ hat mir als Fraktionsspre-cherin zu dieser Publizität verholfen. Es ist eine Zumutung, wie schnell heute Verfassungs-initiativen eingereicht werden. Zugegeben, der „Sexkoffer“, der für den Aufklärungsunter-richt verwendet wurde, kann in guten Treuen als stossend empfunden werden. Deswegen gleich die Bundesverfassung ändern zu wollen, geht aber sehr weit. Im Nationalrat wurden dann Plüschvagina und Holzpenis genüsslich besprochen. Ein ganzer Saal voll Fachleute! Die Problematik „Sexualisierung im Kindergarten“ könnte direkt mit der zuständigen Be-hörde wohl effizienter gelöst werden. Die Initiative musste übrigens zweimal eingereicht werden, weil bekannt wurde, dass ein Mitglied des Initiativkomitees aufgrund sexueller Übergriffe an Kindern verurteilt worden war. Les extrêmes se touchent.
Meilenstein in der Integrationspolitik
Endlich: Dritt-Generation-AusländerInnen sollen in Zukunft erleichtert eingebürgert wer-den können. Der SP gelang es, diesen Vorstoss mit einer komfortablen Mehrheit zu über-weisen. In der Schweiz geborene Personen, deren Eltern ebenfalls in der Schweiz geboren wurden und deren Grosseltern mehr als zwanzig Jahre ihres Lebens überwiegend in der Schweiz verbracht haben, sind keine AusländerInnen mehr! Es ist an der Zeit, sie nicht mehr als solche zu bezeichnen. Ihnen dürfen nicht mehr unnötig Steine in den Weg zum Schweizer Bürgerrecht gelegt werden. Schön, dass es auch zum Thema Integrationspolitik wieder einmal Positives zu berichten gibt. Hallau, 22. März 2015, Martina Munz, Nationalrätin / www.martinamunz.ch 2/2
Ausschaffungsinitiative: „Dann haben Sie dann den Salat!“
Die Ausschaffungsinitiative ist schwierig umsetzbar. Ihr Wortlaut verstösst gegen das Völ-kerrecht. Bei Gesetzen müssen aber das Völkerrecht und die Verfassung respektiert wer-den. Der Ständerat hat die untaugliche Vorlage des Nationalrates verbessert. Das beste-hende Gesetz wird zwar massiv verschärft, gleichzeitig werden aber die wichtigen Verfas-sungsgrundsätze respektiert. Es darf keinen Ausschaffungsautomatismus geben. Die Rich-terInnen sollen auch weiterhin innerhalb einer Bandbreite über Härtefälle entscheiden kön-nen. Bei der ersten Beratung im Nationalrat haben sich CVP und FDP noch hinter die rechts-staatlich höchst bedenklichen Forderungen der SVP gestellt. Der Ständerat als Hüter der Verfassung hat diesen Partei-Opportunismus nicht akzeptiert. FDP und CVP haben sich zu guter Letzt auch im Nationalrat von dieser weisen Rechtsprechung überzeugen lassen. Für einmal haben sie bewiesen, dass sie eigenständig und weniger weit rechts aussen politi-sieren können. SVP Toni Brunner tobte. Die wenige Tage zuvor präsentierte SVP-Initiative „Gegen fremde Richter“ hat möglicherweise dazu beigetragen. Sie wird immerhin von allen anderen Parteien als „Anti-Menschenrechts-Initiative“ aufs Schärfste verurteilt.
Mit dem „Stromer“ auf den Gurten
Spass zwischendurch darf sein. Unsere 10-köpfige Frauen-Sportgruppe im Nationalrat nutzte die Mittagszeit für einen Ausflug mit dem E-Bike. Nach ersten schnellen Kilometern war die anfängliche Skepsis rasch verflogen. Mit über dreissig kmh pedalten wir zum Flug-hafen Belp und danach steil hinauf auf den Gurten. Wir alle gerieten ins Schwärmen. Der „Stromer“, so nennt sich das noble Hightech-Bike, hatte es uns angetan. „Ich fahr halt scho no gern chli schnäll“, meinte eine Kollegin in piekfeinem Anzug, und durfte erfahren, dass „ökologische Mobilität“ nicht wie befürchtet lebensfeindlich – sondern „total cool“ sein kann. Rasch über Mittag auf den Gurten und gut durchlüftet zurück in den Ratssaal, das täte auch manchen Ratsherren gut – für eine bessere Politik und gute Luft!
„Sy würde d‘ Freiheit gwinne, wenn sy däwäg z‘gwinne wär“ (Matter)
Mit dem Bedürfnis nach Sicherheit lassen sich im Moment fast alle Überwachungsmass-nahmen rechtfertigen. Die omnipräsenten Meldungen zu Terroranschlägen machen betrof-fen und Angst. Doch schützt uns präventive Überwachung tatsächlich vor Terrorismus? Freiheit versus Massenüberwachung, darüber galt es zu entscheiden. Bundesrat Maurer konnte nicht schlüssig erklären, warum der Nachrichtendienst mehr Kompetenzen braucht. Sämtliche Terroristen bei den kürzlichen Gräueltaten waren dem Geheimdienst längst be-kannt. Die Falle aber schnappte nicht zu, weil die entsprechenden Daten nicht rechtzeitig verwertet werden konnten. Werden jetzt noch mehr Daten auf Vorrat erhoben, wird die Qualität der Auswertung kaum besser. Nachdem alle unsere Anträge für mehr Transparenz und demokratische Aufsicht versenkt wurden, war sich die SP-Fraktion einig: Wir wollen keinen erneuten Schnüffelstaat. Unsere Grundrechte dürfen wir nicht der Überwachung opfern. Unterstützung erhielten wir durch zwei stramme „Manne“ ganz auf der rechten Seite. Es ist ihnen wohl bewusst, dass bei einer allfälligen Abstimmung die Freiheitsrechte im Zentrum stehen werden. „Never be a looser!“
Waffen für die Schweiz – getestet an Palästinensern
Kurz vor Sessionsbeginn nutzte ich die Möglichkeit, an einer (selber bezahlten) parlamen-tarischen Reise nach Palästina/Israel teilzunehmen, organisiert vom Menschenrechtsfo-rum. Wir besuchten das israelisch besetzte Gebiet in Palästina, sprachen mit vertriebenen Beduinen und setzten uns mit der Siedlungspolitik auseinander. Wir trafen Vertretungen beider Seiten und diskutierten mit Vertretern der Schweizer Botschaft. Eines wurde deut-lich: mit dieser Gewalt und Unterdrückung lässt sich der Nahostkonflikt nicht lösen. Ju-gendliche, die in dritter Generation in Flüchtlingslagern aufwachsen, haben nichts zu ver-lieren. Das macht sie unberechenbar. Wo steht die Schweiz in diesem Konflikt? Unrühmlich ist die Absicht des Bundesrates, beim israelischen Rüstungskonzern Elbit sechs Drohnen, für 450 Millionen Franken zu kaufen. Diese sind im Gaza-Krieg 2014 „im Feld getestet“ worden, bereits verantwortlich für viele Opfer. Für die Wirtschaft kommen Waffengeschäfte mehrheitlich noch immer vor dem Völkerrecht. Ich habe in dieser Session dem Bundesrat dazu einige Fragen gestellt.
Martina Munz, Nationalrätin