Sessionsbericht von Nationalrätin Martina Munz – Frühlingssession 2014 des Nationalrats
Die Masseneinwanderungsinitiative unter dem Kürzel MEI bestimmt fast alle Diskussio-nen. Die Bürgerlichen haben mit dem Feuer gespielt. Jetzt sind sie erstaunt, dass es brennt. Die Bilateralen sind für die Schweiz existenziell wichtig. Eine Kündigung will niemand. Die Bilateralen ohne Personenfreizügigkeit sind aber nicht zu haben. 17 Vorstösse zu diesem Thema sind im Nationalrat allein schon von der SP eingereicht worden. Sonn-tagsreden von Bundesrat Schneider-Ammann, die Initiative werde wirtschaftsfreundlich umgesetzt, helfen wenig weiter. So sicher wie das Amen in der Kirche wird die SVP dem Bundesrat schlechte Verhandlungstaktik vorwerfen. Die Eurodebatte ist neu lanciert. Früher oder später wird die Bevölkerung entscheiden müssen ob weiterhin die Bilateralen gelten, oder ob es unumgänglich wird, Zuwanderungskontingente festzulegen.
Kartellabsprachen kommen teuer zu stehen
Das Kartellgesetz wurde versenkt, die Hochpreisinsel Schweiz zementiert. 20 Milliarden Franken zahlen wir zu viel für Importware, noch bevor Schweizer Dienstleistungen die Produkte erst verteuern könnten. Internationale Anbieter nutzen mit dem „Schweiz-Auf-schlag“ die höhere Kaufkraft der Schweiz aus. Die Änderung des Kartellgesetzes hätte Abhilfe geschaffen durch einen Lieferzwang zu Konditionen wie im Ausland. Der Einkaufs-tourismus würde dadurch schlagartig weniger attraktiv. Einmal mehr hat sich der Nationalrat nicht für das Gewerbe und erst recht nicht für die KonsumentInnen entschieden. Zu gross war die Lobby auf der Ebene Markenprodukte. Den Schaden trägt vor allem das Gewerbe, ganz besonders im Kanton Schaffhausen als Grenzgebiet. Auch die Kosten für den Spitalbedarf bleiben überhöht, damit werden die Gesundheitskosten verteuert.
Blutiger Stichentscheid
Waffen dürfen in Zukunft leider auch in Länder mit systematischen Menschenrechtsverletzungen, wie Pakistan oder Saudi-Arabien, exportiert werden. Diese Lockerung der Regeln für den Export von Kriegsmaterial erfolgte per Stichentscheid des CVP-Ratspräsidenten. Das C bietet keine Gewähr für Moral und Ethik. Ähnlich war es bei der Gripen-Be-schaffung. Der Kampfjet mutierte plötzlich zu einem tauglichen Flieger, sobald lukrative Kompensationsgeschäfte in Aussicht gestellt wurden. Das Sicherheitsdenken hatte aber schnell ein Ende als es um die Registrierung der Waffen ging. Mit der Ablehnung der ent-sprechenden Motion nehmen die Bürgerlichen bewusst eine zusätzliche Gefährdung der Polizei in Kauf.
Frauen-Von-Wattenwyl-Gespräche
Ein besonderer Farbtupfer war die Einladung der SP-Frauen ins Von-Wattenwyl-Haus durch Simonetta Sommaruga. Der altehrwürdige spätbarocke Stadtpalais ist ge-schichtsträchtig. Ein konservativer Patrizier hat hier gegen die liberalen Kräfte gekämpft, ein amerikanischer Spion nutzte den stillen Hinterausgang über die Terrasse für seine Kontakte und heute finden hier die bekannten Von-Wattenwyl-Gespräche statt.
In einer angeregten Gesprächsrunde diskutierten wir über Frauenförderung, Quoten, Frauenhandel und das Rotlichtmilieu. Beim Thema Vereinbarkeit von Beruf und Familie fühlten wir uns ins letzte Jahrhundert zurückversetzt. Die Schweiz ist diesbezüglich noch ein Entwicklungsland. Vielleicht hilft uns der Fachkräftemangel hier einen Schritt weiter-zukommen. Im Departement unserer Bundesrätin wird die Frauenförderung und Chan-cengleichheit gross geschrieben. Ob Frau oder Mann, jede und jeder Angestellte hat An-recht darauf, für Familienverpflichtungen das Arbeitspensum um 20 Prozent zu reduzie-ren. Zudem darf Teilzeitarbeit kein Hinderungsgrund für Beförderungen sein.
Krankenkassen: Schein-Wettbewerb mit Jagd auf gute Risiken
Der Schein-Wettbewerb der Krankenkassen verursacht zusätzliche Kosten. Der National-rat lehnte dennoch die Initiative für eine öffentliche Krankenkasse ab. Wie aber soll Wett-bewerb in einem derart hochregulierten Markt spielen können? Krankenkassen im Wett-bewerb kümmern sich nicht um unsere Gesundheit. Das kommt uns teuer zu stehen. Die Suva als Gegenbeispiel investiert viel mehr in die Prävention. Unter dem Druck der Initia-tive werden wenigstens der Risikoausgleich und endlich auch die Aufsicht über die Krankenkassen verbessert. Gleichzeitig werden aber auch die viel diskutierten Nachzahlungen in einigen Kantonen fällig. Die Versicherten im Kanton Schaffhausen werden drei Jahre lang höhere Prämien zahlen zum Ausgleich der 44 Millionen Franken zu wenig bezahlter Beiträge. Schuld sind fehlerhaften Prämienkalkulationen und die fehlenden Möglichkeiten zur Kontrolle der Krankenkassen. Das darf nie mehr vorkommen.
Schizophrene Verkehrspolitik
Die Verlagerung der Güter von der Strasse auf die Schiene kommt nicht recht vom Fleck. Der Alpenschutzartikel ist zwar seit 20 Jahren in der Bundesverfassung festgeschrieben. Trotzdem werden die Zielsetzungen der Verlagerungspolitik bei Weitem verfehlt. Der Na-tionalrat hat zwar einer Aufstockung der Gelder für den kombinierten Verkehr in dieser Session zugestimmt. Im Ständerat hat die Autolobby mit der Zustimmung zur zweiten Gotthardröhre aber volle Arbeit geleistet. Nach der Renovation soll nur die halbe Kapazi-tät genutzt werden. Wie dumm will man eigentlich das Volk verkaufen? Eine Sanierung ohne zweite Röhre wäre kostengünstiger und gemäss Beratungsstelle für Unfallverhütung (bfu) selbst aus Sicherheitsüberlegungen nicht nötig. Einen zweiten Strassentunnel zu fordern und gleichzeitig die Verlagerungspolitik zu fördern führt zum Erklärungsnotstand.
Wohnort bestimmt Stipendienhöhe
Die Stipendieninitiative des VSS macht Druck auf die Kantone. Der Kanton Schaffhausen hat das besonders nötig. Er bildet das Schlusslicht bezüglich Vergabe der Stipendien. Der Kanton Jura, der sonst nicht mit der grossen Kelle anrühren kann, bezahlt das Vierfache pro Kopf an Stipendien. Seit Jahren werden wir im Kanton mit Versprechungen zur Bes-serung abgespeist. Genug damit, diese Woche habe ich ein Postulat dazu beim Kanton eingereicht. Im Nationalrat wurde die Stipendieninitiative in Bausch und Bogen verrissen. In der Folge wurde das Gesetz als indirekter Gegenvorschlag revidiert. Gemäss National-rat soll neu auch die höhere Berufsbildung von Stipendien profitieren und die Kantone werden zur Harmonisierung der Stipendienbeiträge verpflichtet. Manchmal haben also auch abgeschmetterte Initiativen eine positive Wirkung.
Nebenbei auch noch beschlossen im Nationalrat …
Das Rentenalter soll automatisch an die steigende Lebenserwartung angepasst wer-den. Das haben wir nicht gemeint mit unserem Ziel für ein „flexibles Rentenalter“!
Die Steuerfreibeträge für die Säule 3a sollen erhöht werden. Wer hat dem wird gege-ben!
Die Stempelsteuer auf Eigenkapitel soll sofort abgeschafft werden. Ein Viertel-Milliar-den-Franken-Geschenk an die Unternehmen!
Das administrativ versorgten Menschen angetane Unrecht soll gesetzlich anerkannt werden. Heisst: Menschen werden rehabilitiert, die in der Schweiz ohne Gerichtsurteil weggesperrt wurden. Späte Genugtuung, aber leider ohne finanzielle Entschädigung für die Opfer.
Das Ausländergesetz wird an den Bundesrat zurückgewiesen. Die SVP hätte die Ge-setzesberatung als Plattform missbraucht.
Ein Gesetz für mehr Transparenz beim Politsponsoring soll es nicht geben. Wen wun-dert‘s?
Der Bericht ist auch aufgeschaltet unter http://martinamunz.ch/Aktuell
23.3.2014, Martina Munz