Nationalrat Hans-Jürg Fehr über die Anrufung der Ventilklausel.- Ein Placebo ist eine Pille, die nur den Anschein erweckt als ob sie ein Medikament wäre. In Tat und Wahrheit ist es eine Tablette ohne Wirkstoffe, die den gewünschten Effekt bloss vorgaukelt. Nun mag das in der Medizin gelegentlich funktionieren, weil ein Placebo psychologisch die Selbstheilkräfte des Körpers so zu aktivieren vermag, dass er tatsächlich gesundet. Nur ist Politik nicht Medizin, und ein politischer Körper wie das Stimmvolk kann mit einem Placebo nicht beeinflusst werden.
Der Bundesrat muss in den nächsten Tagen entscheiden, ob er die „Ventilklausel“ anrufen will. Die Ventilklausel ist eine im Personenfreizügigkeitsabkommen mit der EU vorgesehene Massnahme zur Begrenzung der Zuwanderung von Arbeitskräften aus den EU-Staaten in die Schweiz. Sie kann dann angerufen werden, wenn die Zuwanderung den Durchschnitt der drei voran gegangenen Jahre um zehn Prozent überschreitet. Die Ventilklausel bedeutet aber nicht stoppen, sondern bloss sanftes bremsen, darf doch die Zahl der Zugewanderten im Bremsjahr immer noch fünf Prozent über dem Durchschnitt der voran gegangenen drei Jahre liegen.
Die Ventilklausel ist also ein Placebo. Sie gaukelt eine Wirkung vor, die sie gar nicht haben kann. Dies umso mehr, als nach einem Jahr sowieso Schluss ist damit, denn im Personenfreizügigkeitsabkommen wurde vereinbart, dass die Schweiz die Klausel ein letztes Mal im Frühjahr 2013 anrufen darf und dass sie im Falle der Anrufung ein Jahr später definitiv aufgehoben werden muss. Wer die Zuwanderung bremsen will, muss sich also bessere Methoden einfallen lassen, die eine stärkere und länger andauernde Wirkung haben ohne die Wirtschaft zu schädigen. Diese besseren Methoden können nur darin bestehen, die bereits in der Schweiz lebenden Arbeitskräfte vermehrt in den Arbeitsprozess einzubeziehen. Das sind in erster Linie die Frauen, die wegen Familienpflichten ganz oder teilweise von der Erwerbsarbeit ferngehalten sind. Würden sie alle pro Woche einen Tag länger als jetzt ausser Haus arbeiten gehen, könnte die Zuwanderung halbiert werden. Zu erreichen ist die Erhöhung der weiblichen Erwerbsquote durch den entschlossenen Ausbau der Kindertagesstätten. In zweiter Linie braucht es noch wirksamere Massnahmen gegen die missbräuchliche Unterwanderung der schweizerischen Löhne und Arbeitsbedingungen durch importierte Billigstarbeitskräfte, und in dritter Linie müssen mehr einheimische Arbeitslose als bisher in den Arbeitsmarkt zurück gebracht werden durch entsprechende Weiterbildungen. Das sind drei echte Medikamente mit garantierter Langzeitwirkung. Die Ventilklausel ist bloss ein Placebo.
Nationalrat Hans-Jürg Fehr