Rede zur 1. Mai Feier 2012 von werner Bächtold – Liebe Genossinnen und Genossen, liebe Kolleginnen und Kollegen
Wir feiern heute zusammen den Tag der Arbeit und der Solidarität. Ich werde heute auf zwei sehr aktuelle Themen eingehen: Die Solidarität und das Endlager für radioaktive Abfälle.
Ich beginne mit der Solidarität. Mit Solidarität meine ich einerseits das Zusammengehörigkeitsgefühl und die Hilfsbereitschaft innerhalb der Arbeiterbewegung, andererseits aber auch in einem umfassenderen Sinn das Grundprinzip des menschlichen Zusammenlebens, ein Gefühl von Einzelpersonen und Gruppen, zusammen zu gehören, füreinander einzustehen.
Leider leben wir in einer Zeit, in der sich eine Bevölkerungsgruppe von dieser umfassend verstandenen Solidarität verabschiedet hat – die Reichen und die Superreichen. Die Besitztümer waren noch nie so ungleich verteilt wie heute, der Trend, dass die Reichen auf Kosten der Armen immer reicher werden, ist ungebrochen! Und das spielt sich nicht nur im globalen Massstab, sondern auch lokal ab, allerdings etwas subtiler. Unser Kanton, unser kleines Paradies, steht für die einen überraschend vor einem unvorstellbar defizitären Staatshaushalt. Die finanzielle Lage des Kantons ist ziemlich ungemütlich. In diese Lage, so behauptet die bürgerliche Regierungsmehrheit, sind wir gekommen, weil auf der Einnahmenseite unerwartet grössere Beträge fehlen. Als Beispiele werden die Dividende der AXPO, die Gewinnausschüttung der Nationalbank und die direkte Bundesteuer genannt. Es stimmt, hier fehlen Beträge in Millionenhöhe. Was von den Bürgerlichen aber verschwiegen wird, ist die Tatsache, dass unser Kanton im vergangenen Jahrzehnt die Steuern in jährlich erfolgten Schritten immer weiter gesenkt haben. Mit Stolz verkünden sie heute noch, es sei gelungen, die Steuern um jährlich 75 Millionen zu senken! Wer hat von diesen Steuersenkungen hauptsächlich profitiert? Nicht die unteren Einkommen oder der Mittelstand und die Familien, sondern die Unternehmen, denen die Steuern in einem einzigen Schritt halbiert wurden und die Reichen und Vermögenden. Mit diesen Steuersenkungen wurde der Entsolidarisierung der Gesellschaft Vorschub geleistet und man liess sich erpressen durch die Drohung, man ziehe einfach weg in ein steuergünstigeres Domizil! Nun stehen wir wie gesagt da mit tiefroten Zahlen. Der Weg, um wieder aus der Defizitwirtschaft herauszukommen, führt gemäss der bürgerlichen Mehrheit nicht über Steuererhöhungen. Er führt über Sparprogramme und unsoziale Gebührenerhöhungen, welche in erster Linie die grosse Mehrheit der Menschen mit mittleren und tiefen Einkommen – also wir alle – zu tragen haben! Die Schere zwischen den Reichen und dem Rest der Bevölkerung wird also weiter aufgehen!
Um zu erläutern, wie das vor sich geht, bringe ich zwei Beispiele:
1. Ende 2011 brachte die Regierung eine Vorlage in den Kantonsrat, mit der die Krankenkassenprämienverbilligung gesenkt werden sollte. Ein Sparvorschlag, der bis hart an die Schmerzgrenze ging. Der bürgerlichen Mehrheit war das nicht genug. Sie hat die Verbilligung weiter gesenkt und gedroht, damit sei man noch lange nicht am Ende! Dabei trat eine Rücksichtslosigkeit und Kaltschnäuzigkeit zu Tage, die ich in meiner politischen Tätigkeit noch nicht erlebt habe. Mir lief es kalt den Rücken hinunter! An der gleichen Ratssitzung wollten die ganz Unverfrorenen den Vermögenden die Steuern senken! Also klassische Umverteilung, man nimmt dem Mittelstand und gibt den Reichen. Wer sind die Leidtragenden solcher Umverteilungen? Es ist Otto Normalverbraucher, es sind die Familien! Manch einer unter uns wird ab diesem Jahr ein paar Tausend Franken weniger zur Verfügung haben, viele wird das sehr schmerzen. Die AL und die SP haben inzwischen dafür gesorgt, dass die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger an der Urne zu diesem Kahlschlag das letzte Wort haben werden. Gemeinsam haben wir in Rekordtempo weit über 1000 Unterschriften gesammelt und dabei gespürt: Die Empörung in der Bevölkerung ist riesig – stoppen wir gemeinsam diese Politik!
2. Seit Jahren verhindert die bürgerliche Mehrheit im Kantonsrat, dass die Personalkosten kontinuierlich so erhöht werden, dass die Mitarbeitenden in der Verwaltung die ihnen zustehenden moderaten Lohnerhöhungen erhalten und das vorgesehene Lohnbandmaximum erreichen, bevor sie 100 Jahre alt sind. Die Lehrerinnen und Lehrer haben ihre diesbezüglichen Forderungen kürzlich auf dem Herrenacker sehr deutlich artikuliert und unterdessen wurde eine Volksmotion nachgeschoben. Ich möchte betonen: Nicht nur unsere Lehrerinnen und Lehrer, das ganze Staatspersonal inklusive der Rentnerinnen und Rentner, sind davon betroffen, dass wegen der Steuersenkungen die berechtigten Lohnansprüche der aktiven ArbeitnehmerInnen respektive der Teuerungsausgleich für unsere RentnerInnen immer wieder verschoben werden. Und was fällt unserer Finanzministerin und obersten Personalchefin zu diesem Thema ein? Ich zitiere aus den Schaffhauser Nachrichten vom 13. April: „Wir haben mit dem Lohnsystem gute Erfahrungen gemacht“ und „wir können nicht gleichzeitig ein Sparpaket ankünden und die Löhne erhöhen“. Zynischer, liebe Genossinnen und Genossen, geht es nicht. Das Personal muss seit Jahren, nicht erst dieses Jahr, auf Lohnerhöhungen ganz oder teilweise verzichten. Dieses Jahr ist das Sparpaket der Grund, in anderen Jahren fand man andere Gründe, der Fantasie sind da keine Grenzen gesetzt! Eine bürgerliche Regierungsmehrheit, die so argumentiert, hat sich aus der Sozialpartnerschaft verabschiedet. Die öffentliche Hand hat in Sachen Fairness gegenüber den Angestellten eine Vorbild- und Vorreiterfunktion. Weil es für alle Werktätigen wichtig ist, wie sich der Staat in Lohnfragen verhält, fordern wir ein transparentes Lohnsystem und faire Löhne und Renten statt Steuersenkungen für die Reichen! Ganz nach dem Motto des heutigen 1. Mai: Mehr Schutz, mehr Lohn, mehr Rente!
Nebst den Steuersenkungen, welche die Entsolidarisierung unserer Gesellschaft fördern, haben wir mit einem weiteren Problem zu kämpfen. In all den Jahren, in denen mit grosser Kelle Steuergeschenke verteilt wurden, hat unser Kanton viel zu wenig in den Erhalt und die Erneuerung der Infrastruktur investiert. Heute stehen wir vor riesigen und dringend notwendigen Investitionen, die in der desolaten Finanzlage ganz schwer zu finanzieren sind. Die Erneuerung und der Ausbau unseres Systems für den öffentlichen Verkehr ist mit dem Agglomerationsprogramm zwar aufgegleist. Weitere Grossinvestitionen wie das Polizei- und Sicherheitszentrum und die unaufschiebbare Erneuerung des Kantonsspitals stehen aber ebenfalls auf der Traktandenliste. Das sind alles grosse Brocken und kosten zusammen gegen 500 Millionen Franken. Das ist aber noch nicht alles. Ganz dringend und ebenso unaufschiebbar für Familien und allein Erziehende ist die Schaffung von bedarfsgerechten Tagesstrukturen und von bezahlbarem Wohnraum.
Unser Kanton steht vor grossen Herausforderungen. Diese können wir nur meistern, wenn wir zusammenstehen und der Entsolidarisierung ein Ende bereiten. Für alle statt für wenige.
Zum zweiten Thema, dem Endlager, muss ich nicht viel sagen, da sind wir uns einig. Wir alle wollen dieses Lager nicht! Weder im Klettgau noch anderswo. Leider wurde bei der letzten Revision des eidgenössischen Kernenergiegesetzes das Mitbestimmungsrecht der Kantone gestrichen. Viele von uns engagieren sich stark und erfolgreich im Mitwirkungsverfahren und sehen sich dort einem gut bezahlten Expertenteam der NAGRA gegenüber. Obwohl unsere Leute die überzeugenderen Argumente haben als die NAGRA, haben wir zur Standortfrage letztendlich nichts zu sagen, entschieden wird in Bern! Heute fordern wir: Gebt uns unser Mitbestimmungsrecht zurück! Wir wollen nicht, dass ein Endlager gegen den Willen der betroffenen Bevölkerung gebaut wird!
Am kommenden Montag werden wir im Kantonsrat eine Motion deponieren, in der wir per Standesinitiative unser Mitbestimmungsrecht in der Endlagerfrage zurückfordern. Es ist eines demokratischen Staates unwürdig, wenn die Regionen in einer derart zukunftsträchtigen Frage mundtot sind. Wir sind mit unserer Forderung nicht allein. Im Kanton Zürich ist die gleiche Forderung im Kantonsrat hängig, im Kanton Nidwalden ist sie bereits beschlossen. Wenn wir es schaffen, dass mehrere Kantone solidarisch dasselbe fordern, wird unser Gewicht bei den eidgenössischen Räten so gross, dass sie sich in unsere Richtung bewegen müssen!
Zum Schluss noch dieses: Im Herbst sind Gesamterneuerungswahlen. Mit unseren Stimmen können wir dafür sorgen, dass es die reaktionären Kräfte mit ihrer unsolidarischen Politik in Zukunft schwerer haben werden. Aber nur, wenn wir alle an die Urnen gehen und unsere Freundinnen und Bekannten gleich mitnehmen. Heraus zum 1. Mai, heraus in den Wahlkampf! Zeigen wir ihnen die rote Karte!