SP-Grossstadtrat Urs Tanner zur neuen Stadtverfassung: «Die Anpassungen sind sehr
moderat»
Die Stadt Schaffhausen soll eine neue Verfassung bekommen. Die SP-Fraktion ist dafür. Urs Tanner, Fraktionschef, erklärt warum.
Warum braucht die Stadt Schaffhausen eine neue Verfassung?
Urs Tanner: Mit der neuen Verfassung wollen wir den Staub aus dem Jahre 1918 abschütteln. Die geltende Stadtverfassung atmet nämlich immer noch den Geist jener Zeit (1. Weltkrieg!), einer Zeit mit einem ganz anderen Umfeld und ganz anderen Bedingungen, zum Beispiel mit der Hälfte weniger Einwohner als heute. Die jetzige Verfassung ist uneinheitlich und ein unübersichtlicher Flickenteppich. Klar kann eine Verfassung auf Gemeindesebene naturgemäss nicht der grosse Wurf sein; es geht um eine zukunftsfähige und übersichtliche Grundordnung.
Bürgerliche Politiker argwöhnen, die Stadt wolle nur unter Umgehung des Volkswillens mehr Geld ausgeben dürfen. Was sagt die SP zu diesem Vorwurf?
Die Stadtverfassung wurde im Rat mit 25 : 9 Stimmen angenommen; vom Volk gewählte Parlamentarier haben dieser Verfassung mit grosser Mehrheit zugestimmt. 1918 lag der Wert des obligatorischen Referendums bei 11 % der damaligen Budgetsumme. Das wären umgerechnet auf heute ca. 20 Millionen Franken. Der SPK-Präsident Thomas Hauser, FDP, hat wohl recht, wenn er schreibt, dass die Finanzkompetenzen bescheiden seien. Die Zielsetzung ist dieselbe wie im Kanton: Die Anzahl der zwingenden Volksabstimmungen soll reduziert werden. Das soll auch dazu beitragen, der viel beklagten Abstimmungsmüdigkeit entgegenzuwirken.
Wird so die direkte Demokratie nicht ausgehebelt?
Der Vorschlag bei den einmaligen Ausgaben 2 Mio. einzusetzen, ist moderat. Der Betrag liegt unter 1 % der Bilanzsumme des städtischen Haushalts. Dass die direktdemokratischen Anliegen trotzdem ernst genommen werden, zeigt die Tatsache, dass das Korrelat dazu, die Unterschriftenzahl beim fakultativen Referendum, auf dem extrem tiefen Stand von 1918 belassen wurde. Dass die Relationen mit dem heutigen Betrag von 600.000 Franken für einmalige Ausgaben ohne obligatorische Volksabstimmung überhaupt nicht mehr stimmen, zeigt ein Blick in andere Gemeinden: Die Grenze liegt in der drei Mal kleineren Gemeinde Neuhausen oder der zehn Mal kleineren Gemeinde Beringen auf demselben Niveau wie in der Stadt, nämlich bei 600.000 Franken.
Wie sieht es denn in anderen Schweizer Gemeinden aus?
Der Vergleich mit anderen Schweizer Gemeinden zeigt, dass der Betrag für das obligatorische Referendum nicht mehr zeit- und sachgerecht ist: Mit den 2 Millionen Franken sind wir jetzt auf dem Niveau von Gemeinden wie Wädenswil,
Dietikon, Kloten oder Adliswil. Die Grenze von 2 Millionen Franken für das obligatorische Referendum, die laut SVP offensichtlich exorbitant hoch sein soll, gilt in 80 der insgesamt 171 Zürcher Gemeinden!
Gibt es neben den finanziellen Aspekten noch andere Bereiche, die in der neuen Stadtverfassung verbessertwerden sollen?
Volksmotion, Möglichkeit der elektronischen Abstimmung, Petitionsrecht und Einführung der PUK sind neu. Die SP begrüsst zudem sehr, dass gemäss der neuen Verfassung alle Stadtratsmitglieder gleichwertig und mit gleichen Pensen dotiert sein sollen. Eigentlich müsste man ein 100%-Pensum für jedes der fünf Mitglieder fordern, wenn man die Arbeitsbelastung des Stadtrates anschaut. Aber zwischen Weihnachtswünschen und Realpolitik gibt es halt ein paar Unterschiede. Deshalb sprechen wir uns dafür aus, dem Volk diese Variante mit fünf mal 70 % vorzulegen. y
Die Fragen stellte Anja Marti-Jilg
Urs Tanner: «Wir wollen mit der neuen Verfassung den Staub aus dem Jahr 1918 abschütteln.»