Der Mythos vom gesunden Steuerwettbewerb

Von Hildegard Fässler; Nationalrätin St.Gallen -Dass Steuerwettbewerb gesund sei, ist unbewiesene Ideologie. Es gibt keine Studie, die belegt, dass der Steuerwettbewerb per se für eine Volkswirtschaft gut sei. Auch die Behauptung, dank des Steuerwettbewerbs seien die Steuern tiefer als ohne, ist nicht bewiesen. Hingegen nachweislich richtig ist, dass durch das Werben um reiche Steuerpflichtige die Miet- und Immobilienpreise in den Tiefsteuergebieten massiv höher sind als anderswo, so dass sich heute ursprünglich Ansässige zum Umzug genötigt sehen.

Ein eigentliches Race to the Bottom führt viele Kantone in finanzielle Nöte, aus denen sie nur durch Sparprogramme heraus kommen. Die Position in der Steuerrangliste der Kantone lässt sich durch eine Steuersenkung, von der die besser Situierten wegen der Progression überproportional profitieren, jeweils nur für kurze Zeit verbessern, da andere Kantone ja genau dasselbe tun. Der Kanton St.Gallen ist ein gutes Beispiel dafür.

Der internationale Steuerwettbewerb beschert der Schweiz nicht nur Vorteile durch das Anziehen von ausländischen Unternehmen und Privatpersonen. Der Ruf als „Steuerfluchthafen“ zum Schaden des Wirtschaftsstandorts Schweiz und die Spannungen mit der EU wegen der Unternehmenssteuerpraxis der Kantone sind nur zwei Beispiele.

Der Steuerwettbewerb bevorzugt vor allem die Reichen
Der interkantonale Steuerwettbewerb wird auf verschiedenen Feldern betrieben:

  • Abschaffung der kantonalen Erbschaftssteuern für direkte Nachkommen
  • Pauschalbesteuerung für Ausländerinnen und Ausländer
  • Rabatte bei der Dividendenbesteuerung
  • Rabatte bei der Eigenmietwertbesteuerung
  • Grundstückgewinnsteuer
  • Handänderungssteuer
  • Unternehmensbesteuerung
  • Steuerabzüge
  • Proportionale statt progressive Tarife (easy swiss tax, flat rate tax)

In den meisten dieser Bereiche profitieren die kleineren Haushalte wenig bis gar nichts. Im Gegenteil: Durch die Steuerausfälle sinken die staatlichen Leistungen, wovon alle, die kleineren Haushalte oft aber überproportional, betroffen sind. (Matura-Prüfungen nicht mehr gratis, Musikstunden teurer, grössere Schulklassen, Abbau von ALV-Leistungen,…)

Der Steuerwettbewerb steht im Widerspruch zur Verfassung

In Art. 127 Abs.2 BV ist der „Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit“ verankert. Auch wenn in Art.129 Abs.2 Steuertarife, Steuersätze und Steuerfreibeträge von der Harmonisierung ausgenommen sind, sind die Grundsätze einzuhalten.

Die Steuerpflichtigen wünschen sich mehr Steuergerechtigkeit

Jede Befragung zeigt, dass die Leute kein Verständnis dafür haben, dass Steuerpflichtige mit derselben wirtschaftlichen Situation derart unterschiedliche Steuerrechnungen haben, wie das in der Schweiz der Fall ist. Gerade in Gemeinden an Kantonsgrenzen sind diese Differenzen immer wieder Gegenstand von Kontroversen. Für viele Steuerpflichtige ist eine materielle Steuerharmonisierung durchaus ein Ziel.

Die NFA blieb, wie von uns erwartet, ohne spürbare Wirkung für ein Schliessen der Disparitäten-Schere. Hingegen haben der Wettbewerb der letzten Jahrzehnte und die damit verbundene materielle Disharmonisierung diese Disparitäten enorm vergrössert. Das haben unsere Berechnungen im Vorfeld dieser Initiative gezeigt. Die Einführung eines Bandbreitenmodells hätte deshalb heute den unerwünschten Effekt, dass in gewissen Kantonen bzw. Gemeinden auch kleine Haushalte stärker belastet würden.

Alle künftigen Steuerreformen müssen diesem Disharmonisierungstrend entgegen laufen, damit der Verfassungsgrundsatz nicht mehr verletzt wird. Zudem muss die Bemessungsgrundlage jeweils verbreitert werden (Abschaffung von Steuerausnahmen wie z.B. Kapitalgewinne), damit die kleinen Haushalte nicht stärker belastet werden müssen.

Unsere Initiative setzt dort an, wo die Profiteure der heutigen Situation sind, bei den sehr gut Verdienenden und den Vermögenden. Das ist nur folgerichtig – und fair.

Hildegard Fässler, Nationalrätin

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