Mit freundlicher Genehmigung von Jacqueline Fehr, Nationalrätin ZH, Vizepräsidentin SP Schweiz
Es war in den 70er Jahren, als in Schweden Hunderttausende wütender Frauen und einige tausend Männer auf die Strasse gingen und für eine bessere Kinderbetreuung demonstrierten. Jedes Kind solle das Recht haben auf einen guten Krippenplatz und jede Frau solle ihren Lebensunterhalt mit bezahlter Arbeit verdienen und sich so aus der ökonomischen Abhängigkeit der Ehemänner und des Staates befreien. So lauteten die Forderungen. Die Erfolge dieser Politik sind bekannt: Schweden besitzt das weltweit beste Kinderbetreuungsangebot, hat die Individualbesteuerung durchgesetzt und die Familienpolitik so ausgestaltet, dass die Interessen der Kinder im Mittelpunkt stehen. Von einer sogenannt gendergerechten Sprache wollte die Schwedische Frauenbewegung jedoch nie etwas wissen.
Das Ziel der nordischen Frauenbewegung war die Freiheit. Diese war nur durch die ökonomische Unabhängigkeit zu erlangen. Jede Frau solle Zugang haben zum Arbeitsmarkt und damit zu selber verdientem und individuell versteuertem Einkommen. Eine gute und bezahlbare Kinderbetreuung, die Individualbesteuerung, eine Alimentepolitik, die vor Armut schützt, sowie eine Bildungs- und Familienpolitik, die sich an den Bedürfnissen der Kindern orientiert, standen deshalb zuoberst auf der Agenda. Das Thema der gendergerechten Sprache (die ausdrückliche Erwähnung sowohl der männlichen als auch der weiblichen Form) wurden zwar diskutiert, aber sogleich als untergeordnet und damit unbedeutend klassiert. Die schwedische Frauenbewegung lebt seither ohne grosse Widerrede damit, dass vielerorts weiterhin nur die männliche Form verwendet wird.
Die Situation in der Schweiz präsentiert sich anders. In der Zeit, als die schwedischen Frauen für die Kinderbetreuung auf die Strasse gingen, hatten wir gerade mal das Frauenstimmrecht erkämpft. Und heute, wo im Norden die Frauen in die Chefetagen der grossen Unternehmen einziehen, beschäftigen wir uns mit der gendergerechten Sprache? Die Stadt Bern hat gewissenhaft umgesetzt, was die Gleichstellungsbewegung in der Schweiz fordert und ist prompt ins Messer der öffentlichen Meinung gelaufen. Humor war noch die angenehmste Reaktion auf die neuen sprachliche Vorschläge wie Zebra- statt Fussgängerstreifen usw.
Bevor ich missverstanden werde, möchte ich zwei Dinge klar stellen:
- Die neuen sprachlichen Vorschläge der Stadt Bern sind grösstenteils gut. Fahrausweis ist nun mal das bessere Wort als Führerausweis. (Kritisiert werden muss hingegen der kaum verständliche Vorschlag, statt von Mutter und Vater künftig von Elter zu sprechen – hier ist der Amtsschimmel davon galoppiert.)
- Ich habe persönlich lange und heftig für die sprachliche Gleichstellung gekämpft. Dies in der Überzeugung, dass die Sprache das Denken prägt und es damit wichtig ist, dass die weibliche Form explizit erwähnt und nicht einfach „mitgedacht“ wird. Ich bin im Grundsatz noch heute davon überzeugt und bemühe mich selber um eine entsprechende Sprache. Doch ich frage mich heute, ob wir die Gewichte richtig gesetzt haben.
Wer Veränderungen will, muss Ziele festlegen und Schwerpunkte setzen. Und so können wir der Frage nicht ausweichen, ob wir in den letzten Jahren mit dem grossen Engagement für eine gendergerechte Sprache nicht aufs falsche Pferd gesetzt haben. Vielleicht müssen wir nicht soweit gehen wie unsere schwedischen Kolleginnen und das Thema gerade ganz von der Agenda streichen. Aber eine konsequentere Ausrichtung der Gleichstellungspolitik auf ein besseres Leben für die Frauen hier und weltweit täte der Bewegung vielleicht gut. Wie hiess doch der wunderbare Slogan der letzten Frauendemo: Her mit dem schönen Leben!